Rumänien hat seit dem Beitritt zur Europäischen Union eine beeindruckende Entwicklung durchlaufen. Noch nie ging es den Menschen so gut wie heute. Das zweitgrößte Land der EU-Osterweiterung hat sich zu einer stabilen und wettbewerbsfähigen Wirtschaft entwickelt, ist für Brüssel und die NATO ein verlässlicher Partner. Umso mehr verwundert es, dass in der Politik ein starker Rechtsruck zu verzeichnen ist.
Bei den Präsidentschaftswahlen am 24. November konnte sich der bis dahin fast unbekannte Kandidat Călin Georgescu in der ersten Runde durchsetzen. Dabei propagiert er ungeniert nicht nur den Austritt aus der EU und der NATO, sondern äußert sich positiv über Putin, bekennt sich zu faschistischen Ideologien, leugnet den Holocaust und äußert sich immer wieder judenfeindlich. Obgleich das Wahlergebnis aufgrund seiner nachgewiesenermaßen manipulierten Kampagne vom Verfassungsgericht annulliert und eine Wiederholung angewiesen wurde, veranschaulicht der unerwartete Aufstieg des Neofaschisten, dass trotz aller Errungenschaften das Vertrauen in staatliche Institutionen offenbar auf einem Tiefpunkt angelangt ist.
Dieser Trend wurde durch die Parlamentswahlen am 1. Dezember bestätigt: Die Sozialdemokratische Partei ist zwar stärkste Kraft geblieben, hat aber mit ihren Koalitionspartnern viele Stimmen eingebüßt. Dagegen konnte am äußeren rechten Rand die erst 2019 gegründete Allianz für die Einheit der Rumänen (AUR) ihre Wählerschaft mit knapp 20 Prozent nahezu verdoppeln.
All dies wirft auch die Frage auf, inwiefern sich die aktuelle Lage auf das jüdische Leben im Land auswirken könnte. Die Förderung und der Schutz jüdischen Lebens sind vorbildlich. Antisemitische Äußerungen werden geahndet, die knapp 9000 Mitglieder zählende Gemeinde ist mit einem eigenen Abgeordneten im Parlament vertreten, in weiterführenden Schulen ist die Geschichte des Holocaust Pflichtfach. Judenfeindliche Auftritte sind noch selten. »Die positive Politik der Regierung kann nicht das Gegengewicht zu einer viel komplexeren Realität bilden«, sagt Alexandru Florian, Leiter des nationalen Elie-Wiesel-Instituts für das Studium des Holocaust in Rumänien, und fügt hinzu: »Der Aufstieg der extremen Rechten ist ein Phänomen, das in ganz Europa verbreitet ist. In Rumänien begann es vor vier Jahren, als die extremistische Partei AUR ins Parlament einzog.«
Treffen Rechtsradikaler nahe Bukarest
Doch ist der Trend nicht neu. Bei einer Veranstaltung nahe Bukarest versammelten sich jüngst rund 70 rechtsradikal Gesinnte, um den 86. Todestag von Corneliu Zelea Codreanu zu begehen, dem Gründer der faschistischen Legion »Erzengel Michael«, die für Pogrome und die Ermordung Tausender rumänischer Juden verantwortlich war. Es wurden die Legionsfahnen geschwenkt und auch der Hitlergruß gezeigt. Diese und ähnliche Kundgebungen finden seit Jahren statt, auch wenn sie gesetzlich verboten sind. Der Unterschied zu den Vorjahren besteht laut Florian darin, dass die Teilnehmer dieses Mal eine größere Zuversicht hegten, dass man sie gewähren lassen würde.
Die Frage, welche Entwicklungen die jüdische Gemeinschaft in Rumänien zu erwarten hat, beantwortet der Institutsleiter mit den Worten: »Alles kann passieren. Die Situation stellt einen Test für die junge rumänische Demokratie dar.« Eine Demokratie, in der sich bereits fast ein Drittel des Parlaments aus extremistischen Parteien zusammensetzt. Eine Analyse der Personen, die es nun ins Parlament geschafft haben, lässt eine Fortsetzung dieses Trends vermuten.