Es waren zwei Jugendliche, der damals 15-jährige András Paszternák und sein zwei Jahre älterer Bruder Tamás, die 1996 entschieden, das jüdische Leben in ihrer Geburtsstadt Komárno wiederaufleben zu lassen. Im Laufe der Zeit war es zum Stillstand gekommen, doch die beiden Jugendlichen wollten das nicht hinnehmen – also gründeten sie eine Monatsschrift und verteilten sie.
Sie ernteten viel Lob dafür, und dies motivierte sie weiterzumachen. Damals ahnten sie noch nicht, dass sie damit das Schicksal der ganzen Gemeinde in die Hand genommen hatten. Sie fingen an, religiöse und kulturelle Zusammenkünfte zu organisieren, und luden zu den Hohen Feiertagen Kantoren ein. Seit der Schoa hatte die slowakische Stadt an der ungarischen Grenze keinen eigenen Rabbiner mehr.
BIBLIOTHEK Allmählich erwachte das Judentum in Komárno aus seinem Dornröschenschlaf. Das im Jahr 1896 erbaute Gemeindehaus mit der kleinen Synagoge wurde saniert, man fing an, Judaika zu sammeln und auszustellen, und richtete eine Bibliothek ein. Finanziert wurde all dies durch die Vermietung von Immobilien, durch Unterstützung des Zentralverbands der jüdischen Gemeinden in der Slowakei sowie durch Fördergelder aus dem In- und Ausland.
Vor 25 Jahren belebten zwei Jugendliche die Gemeinde neu.
Da in Komárno fast alle Juden der ungarischen Minderheit angehören, wurde das Monatsblatt zweisprachig veröffentlicht, Slowakisch und Ungarisch. Auch in den Gottesdiensten wird seitdem in beide Sprachen übersetzt. Gleiches gilt für die alle zwei Wochen stattfindende Online-Diskussionsrunde »Ajwe, Montag«, in der religiöse oder aktuelle politische Themen erörtert werden. Manchmal schalten sich auch Teilnehmer aus Israel, den USA oder Ungarn zu.
»Weil es in den benachbarten Orten auf der anderen Seite der Donau keine eigenen jüdischen Gemeinden gibt, haben wir auch einige Mitglieder aus Ungarn«, sagt Tamás Novák. Er sitzt im Vorstand der Gemeinde und war früher Zweiter Bürgermeister der Stadt.
In der Slowakei leben heute etwa 2600 Juden. »Es gibt zwölf Gemeinden, aber nur zwei sind bedeutend, die in der Hauptstadt Bratislava und die in Košice«, ergänzt Gemeindechef Antal Paszternák, der Vater der beiden Brüder. Alle anderen Gemeinden seien klein wie die in Komárno und hätten kaum mehr als 50 Mitglieder.
jubiläum Vergangenes Jahr feierte die Gemeinschaft das 125-jährige Jubiläum. Ihre Geschichte war nicht einfach. Früher gehörte die Stadt zur österreichisch-ungarischen Monarchie und erstreckte sich an beiden Seiten der Donau, verbunden durch die nach Kaiserin Sissi benannte Elisabethbrücke. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der linksdonauische Stadtteil der Tschechoslowakei zugeschlagen, der andere Teil blieb ungarisch. Die Juden von Komárno gehörten plötzlich zwei Minderheiten an und waren als Juden und Ungarn Anfeindungen und Misstrauen ausgesetzt.
Lebensbedrohlich wurde es, als Komárno im Zweiten Weltkrieg wieder dem Ungarischen Königreich angeschlossen wurde. Hatten bis dahin etwa 2000 jüdische Bürger in der Stadt gelebt, kehrten nach der Schoa nicht einmal 250 zurück. Nach 1945 kam die nördliche Stadthälfte zurück an die Tschechoslowakei. Doch die Situation war beschwerlich. Denn Religion wurde von den neuen sozialistischen Machthabern nicht gern gesehen. In den 50er-Jahren musste die Gemeinde die neologe und die orthodoxe Synagoge verkaufen. Sie dienen heute als Sportzentrum und als Altersheim.
Es wundert nicht, dass von den wenigen Juden, die nach der Schoa zurückkehrten, viele das Land verließen. Auch die Eltern des wohl berühmtesten Kindes der Stadt, des kanadischen Filmemachers Ivan Reitman (Ghostbusters, Kindergarten Cop), flohen, als er noch klein war. 2011 erhielt Reitman die höchste Auszeichnung der Stadt, den »Pro Urbe«-Preis, und ihm zu Ehren wurde eine Kopie seines Sterns auf dem berühmten »Walk of Fame« in Hollywood vor dem örtlichen Kino verlegt.
ANDRANG Trotz der wenigen Mitglieder ist die Gemeinde aus dem städtischen Leben nicht wegzudenken. Das beweist die regelmäßige Teilnahme des Bürgermeisters, des Schuldirektors und führender Kirchenvertreter an Gemeindeveranstaltungen, worüber die Medien gern berichten. Häufig kommen auch Schulklassen ins Gemeindezentrum, wo ihnen jüdische Bräuche erklärt werden. Überrascht war die Gemeinde über den Andrang am Tag der offenen Tür im Frühjahr. Man wäre schon mit 20 Besuchern zufrieden gewesen, sagt Gemeindechef Paszternák, doch es kamen mehr als 100.
Heute ist die Gemeinde aus dem städtischen Leben nicht mehr wegzudenken.
Seit 2003 würdigt die jüdische Gemeinde mit dem sogenannten Kehila-Preis Personen und Institutionen, die zur Bewahrung der jüdischen Kultur vor Ort beigetragen haben. In diesem Jahr ging er an den nichtjüdischen Historiker Vilmos Galo, der ein Buch über die Geschichte der Juden in Komárno geschrieben hat. Alljährlich wird auch ein Fotowettbewerb ausgeschrieben, im vergangenen Jahr war das Motto »Fokus aufs Judentum«, in diesem Jahr »Lass es uns verewigen – Nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft«.
Trotz ihres Erfolgs geben sich die Paszternáks nicht zufrieden. Denn gerade bei der jüdischen Jugend halte sich das Interesse am Gemeindeleben traurigerweise in Grenzen, wie sie sagen. Das zeigte sich auch am »Europäischen Tag der jüdischen Kultur« im September, an dem ausschließlich ältere Gemeindemitglieder teilnahmen. »Die Bänke in der Synagoge leeren sich, während die Zahl der Gräber auf dem Friedhof wächst«, klagt Programmkoordinator András Paszternák. Viele Jüngere seien nach Bratislava oder Budapest umgezogen oder hätten Alija gemacht.
Aufgeben sei aber trotzdem keine Option, betont er: »Unsere Aufgabe besteht darin, das jüdische Leben in Komárno so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Und falls die Gemeinde irgendwann doch entschwunden sein sollte, wird es bestimmt einen Ort in der Stadt geben, wo man die Erinnerung an uns bewahrt.«