»Grüezi oder Schalom! Mein Name ist … Darf ich Ihnen kurz etwas erklären? Oder haben Sie vielleicht eine Frage?« Eine solche Anrede ist in einigen Bergregionen der Schweiz dieser Tage häufig zu hören. Sie richtet sich an Einheimische, aber auch an orthodoxe jüdische Gäste in Arosa, Davos und dem Saastal im Kanton Wallis.
Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) möchte mit seinem Likrat-Public-Projekt besondere Präsenz zeigen an diesen drei Orten, wo jetzt im Spätsommer die Zahl orthodoxer Gäste erfahrungsgemäß besonders groß ist. Sie kommen aus Israel, England, den USA oder Belgien – aber auch aus Zürich und Basel. Vor allem seit dem Trauertag Tischa beAw, der in diesem Jahr am 10. August begangen wurde, reisen sie an.
Irritationen Zwischen dieser besonderen Touristengruppe und der örtlichen Bevölkerung gab es in den vergangenen Jahren Irritationen. Höhepunkt war 2017 ein Vorfall in Arosa, als die Hausverwalterin einer Ferienwohnung in einem Plakatanschlag die »jüdischen Gäste« bat, vor dem Betreten des Schwimmbads zu duschen. Die anschließende Antisemitismus-Diskussion schlug Wellen bis nach Israel und in die USA.
»Solche Schlagzeilen möchten wir nicht mehr lesen müssen«, sagt SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner. Deshalb setzt man beim SIG und bei Likrat Public in enger Zusammenarbeit mit lokalen Tourismusorganisationen auf die Vermittler, wie sie bezeichnet werden – rund 20 jüdische Männer und Frauen aus der Schweiz, die sowohl die schweizerische Seite kennen, die manchmal Mühe hat, das Verhalten der orthodoxen jüdischen Gäste zu verstehen, und zum anderen die Perspektive dieser jüdischen Gäste, die ihren observanten Lebensstil auch im Urlaub weiterverfolgen.
Einer der Vermittler ist der 31-jährige Michel Holz, der sich selbst als »traditioneller Jude« bezeichnet.
Einer dieser Vermittler ist der 31-jährige Michel Holz, der sich selbst als »traditioneller Jude« bezeichnet. Seit vergangener Woche ist er in Davos im Einsatz, wo sich bis Ende des Monats vermutlich die meisten jüdischen Gäste im gesamten Alpenbereich aufhalten werden. An Orten wie der Bergbahn, aber auch auf den Dorfstraßen versucht der ausgebildete Lehrer, Missverständnisse auszuräumen oder Unklarheiten zu beseitigen.
»Zum Beispiel erkläre ich den Gästen, dass es üblich ist, bei Wanderungen ab etwa 1000 Meter Höhe alle freundlich zu grüßen, denen man begegnet.« Dieses ungeschriebene Gesetz ist vermutlich auch nicht jedem nichtjüdischen Touristen bekannt, und es halten sich auch nicht alle daran.
Umgekehrt kann Michel Holz aus dem Vollen schöpfen, wenn er am Beispiel der jüdischen Speisegesetze erklärt, wieso jüdische Gäste eines Bergrestaurants höchstens Mineralwasser oder Cola bestellen – aber niemals etwas zu essen oder ein Glas Wein.
Pilotversuch Für Vermittler Michel Holz ist diese Aufgabe, die der SIG in diesem Jahr als Pilotversuch zum ersten Mal durchführt, derart wichtig, dass er einen Teil seiner Sommerferien dafür opfert – und sich mit einer bescheidenen Entschädigung zufriedengibt.
Der junge Mann nimmt seit zehn Jahren am Likrat-Projekt teil, bei dem junge jüdische Erwachsene an Schulen das Judentum erklären. »Das hier ist eine logische Fortführung der Aufklärung in den Schulen«, findet Holz, der dieser Tage in Davos auch als Ausbilder und Ansprechperson für die anderen Vermittler agiert.
Zur Aufklärung beitragen sollen außerdem zwei Broschüren, die kürzlich erschienen sind. Die eine stammt vom Unternehmerverband HotellerieSuisse sowie der nationalen Tourismusorganisation Schweiz Tourismus und richtet sich an die Gastgeber. Die andere stammt von der SIG und wendet sich an die jüdischen Gäste aus aller Welt. »Wir hoffen, dass wir mit diesem Gesamtpaket bei lokalen und jüdischen Gästen etwas erreichen können, zum Wohle aller«, sagt SIG-Generalsekretär Kreutner.