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USA

Jüdisch in Tehrangeles

Ihre Flucht aus dem Iran vor mehr als 30 Jahren kommt Tabby Rafael (37) heute vor wie eine Szene aus einem Hollywoodfilm. Ihre ältere Schwester, die Mutter und der Vater atmeten erleichtert auf, als sich ihr Flugzeug nicht mehr über dem iranischen Luftraum befand. Die Mutter lehnte sich zu der damals sechsjährigen Tabby hinüber und nahm ihr das verhasste Kopftuch ab, das alle Frauen und Mädchen seit der iranischen Revolution 1979 tragen mussten.

»Sie faltete es zusammen und ließ es verschwinden«, erinnert sich Tabby Rafael. Als Teil der jüdischen Minderheit in der Islamischen Republik Iran fühlte sich die Familie existenziell bedroht. In der Zeit des Iran-Irak-Krieges lebte sie in der Nähe des Regierungsviertels. Trotzdem floh sie nicht während der Revolution oder kurz danach, sondern erst 1988, fast zehn Jahre nach der Machtergreifung von Ayatollah Khomeini.

Im Großraum Los Angeles leben rund 50.000 persische Juden.

»Es gab diejenigen, die etwas spürten und das Land verließen, und diejenigen, die hofften, es werde nicht so schlimm«, fasst Rafael zusammen. Doch die Verhaftung und Ermordung des damaligen Vorsitzenden der Jewish Association of Iran, Habib Elghanian, als »Feind Gottes« öffnete damals vielen Juden die Augen.

Die Tötung des hochrangigen iranischen Generals Qassem Soleimani bei einem gezielten amerikanischen Raketenangriff vor zwei Wochen löste bei etlichen Juden, die bis heute im Iran leben, ähnliche Befürchtungen aus. Der Staat erwartete von führenden Vertretern der jüdischen Gemeinschaft, dass sie öffentlich ihre Trauer bekunden.

Terrorismus In der iranisch-jüdischen Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten hingegen war die Erleichterung über Soleimanis Tod groß. »Als Iraner wissen wir, dass Soleimani in internationale Terroristen investiert hat und nicht in sein eigenes Volk. Und als Juden wissen wir, dass er ein unerschütterlicher Unterstützer von Hamas und Hisbollah war – Organisationen, die jüdisches Blut an den Händen haben«, sagt Rafael.

Dennoch findet die Kolumnistin und Mutter zweier Söhne, dass es in vielerlei Hinsicht einfacher war, im Iran jüdisch zu sein als in Los Angeles, der Wahlheimat von fast 50.000 persischen Juden. Im Iran stand Assimilation außer Frage, und gemischte Ehen mit Nichtjuden waren verpönt.

Die Beibehaltung solch insularen Verhaltens mache die Stärke und zugleich die Schwäche der persischen Juden in Amerika aus, sagt Saba Soomekh (43), stellvertretende Direktorin für interreligiöse Angelegenheiten des American Jewish Committee in Los Angeles. Die Wissenschaftlerin hat ein Buch über die Rolle iranischer Frauen im amerikanischen Exil geschrieben. Anders als viele Gleichaltrige ging sie zum Studium an die Ostküste, an die renommierte Harvard University in Boston.

»In den Vereinigten Staaten geht es darum, frei und unabhängig zu sein. Mit 18 ausziehen – das ist ein Konzept, das nahöstlichen Gesellschaften vollkommen fremd ist«, erklärt sie. Auf der einen Seite habe diese Mentalität durchaus dazu beigetragen, dass Traditionen wie das Leben in Großfamilien gepflegt und die persische Sprache erhalten wurden. Andererseits führe diese Abschottung gegenüber der jüdischen und nichtjüdischen Außenwelt aber auch zu Vorurteilen und zu Misstrauen gegenüber der persischen Gemeinschaft.

Viele mussten alles zurücklassen – so auch Tabby Rafaels Vater, ein studierter Chemiker, der im Iran eine Klebstofffabrik besessen hatte.

einwanderung Diese Erfahrung hat auch Jimmy Delshad, ehemaliger Bürgermeister von Beverly Hills, gemacht. Als er 1959 im Alter von 18 Jahren mit seinem älteren Bruder nach Amerika kam, waren sie Vor- und Wegbereiter für die Einwanderungswelle 20 Jahre später.

Delshad studierte zunächst Computerwissenschaften und Elektronik in Minnesota. »Dort war es sehr kalt. Also ging ich nach Kalifornien, um aufzutauen«, scherzt der heute 79-Jährige, der immer noch als Berater für Kommunen und Betriebe tätig ist. In Kalifornien verliebte er sich in eine aschkenasische Jüdin und baute eine Softwarefirma auf.

In den Jahren 1979/80 änderte sich Delshads Leben auf einen Schlag, denn damals flohen mehr als die Hälfte der damals rund 80.000 Juden aus dem Iran und begannen ein neues Leben in Amerika.

Viele mussten alles zurücklassen – so auch Tabby Rafaels Vater, ein studierter Chemiker, der im Iran eine Klebstofffabrik besessen hatte. Nach der Ankunft in Amerika schlugen ihm Freunde vor, er solle in Downtown L.A. Teppiche und Stoffe verkaufen. Doch er wollte weiterhin in seinem alten Beruf arbeiten.

Es sei eine Ironie des Schicksals, sagt Tabby Rafael, dass ihr Vater im postrevolutionären, kriegsgeschüttelten Iran enormen wirtschaftlichen Erfolg hatte, aber seine Familie nicht in Freiheit leben konnte. Nach der Flucht nach Amerika war es umgekehrt: Er habe sich finanziell nicht mehr erholt, aber seine Töchter konnten im Vorgarten spielen, ohne dass Fliegerstaffeln über ihren Köpfen den Himmel kreuzten.

grossfamilien Damals wandten sich viele Neuankömmlinge an Jimmy Delshad. Sie kosteten ihre neu errungene religiöse Freiheit aus: In den westlichen Stadtteilen von Los Angeles und Beverly Hills begannen ganze Großfamilien, Gottesdienste zu besuchen.

»Sie kamen mit sehr vielen Leuten, aber sie waren nicht mit den Gepflogenheiten in amerikanischen, von Emigranten aus Osteuropa geprägten Synagogen vertraut«, sagt Delshad. Dass Amerikaner Mitgliedsbeiträge leisten und Gottesdienste pünktlich beginnen, war ihnen unverständlich.

Delshad ist Mitglied in »Sinai Temple«, einer der größten konservativen Gemeinden in Los Angeles. Um den iranischen Einwanderern die Eingewöhnung zu erleichtern und die Wogen bei seinen aschkenasischen Freunden zu glätten, bewarb er sich um den Gemeindevorsitz. Im dritten Anlauf gewann er. Während seiner Amtszeit von 1990 bis 1992 legte er seinen Beruf auf Eis und war Gemeindevorsitzender in Vollzeit.

»Nachdem ich gewonnen hatte, war es mir sehr wichtig, die ganze Gemeinde zu repräsentieren, nicht nur die Perser«, erklärt er seinen Entschluss. Offenbar lag er damit richtig, denn unter seiner Führung stieg die Mitgliederzahl um 25 Prozent.

Ermutigt von seinem Erfolg bei den Gemeinderatswahlen stieg er in die Kommunalpolitik ein. 2007 wurde er zum ersten iranisch-jüdischen Bürgermeister von Beverly Hills gewählt. »Einige Jahre später trat ich noch einmal an – niemand sollte denken, meine Wahl sei ein Zufall gewesen«, sagt er. Auch 2010 gewann er.

In Delshads Amtszeit fiel die Einrichtung einer Kommission zur Prüfung von Bauentwürfen. Dies war nötig geworden, weil 2003 zum Leidwesen ihrer amerikanischen Nachbarn einige persische Architekten anfingen, den Baustil ihrer alten Heimat zu kopieren. »Die Häuser hatten weiße Säulen und hohe Decken und sahen aus wie kleine Paläste«, sagt Jimmy Delshad.

Nicht alle jüdischen Einwanderer aus dem Iran interessierten sich für bestehende amerikanische Gemeinden.

Nicht alle jüdischen Einwanderer aus dem Iran interessierten sich für bestehende amerikanische Gemeinden. Rabbiner David Shofet (80), der Sohn des einstigen Oberrabbiners von Teheran, sagt: »Im Iran gab es nur eine Religion und keine Strömungen. Als ich nach Amerika kam, fand ich, dass wir unsere Traditionen fortsetzen sollten. Wir sind nicht Reformjuden oder konservativ, wir sind nicht einmal orthodox.«

Shofet fragte einen befreundeten orthodoxen Rabbiner der nahe gelegenen Beit-Jacob-Gemeinde, ob er ihm und seinen Anhängern einen Raum zur Verfügung stellen könnte. »Zum ersten Gottesdienst kamen neun iranische Beter«, erinnert er sich. Also lieh man sich einen aschkenasischen Mann von Beit Jacob aus, um den Minjan zu vervollständigen.

Durch Mundpropaganda wuchs die Zahl der Gottesdienstbesucher nach ein paar Monaten auf rund 400. Und so entstand allmählich »Nessah Synagogue«, die größte persische Gemeinde in Los Angeles.

Über diverse Stationen in Santa Monica und Beverly Hills gelangten Shofet und seine überwiegend älteren Anhänger zu ihrer jetzigen Heimstätte in der Nähe einer Gegend in Westwood, die wegen ihrer hohen Dichte an persischen Geschäften und Restaurants »Tehrangeles« genannt wird.

Einen Monat ist es her, da brach ein Mann in die Nessah-Synagoge ein, zerriss Gebetbücher, schändete Torarollen und warf Möbel um. Der jüdische Bürgermeister von Los Angeles, Eric Garcetti, erklärte, er sei »geschockt und wütend« über den Vorfall. Viele Gemeindemitglieder sehen diesen Anschlag sowie den Mord an einem Supermarktbesitzer in New Jersey und die vielen Angriffe in Brooklyn als Weckruf für alle Juden in Amerika. »Wir sind nicht immun«, hört man immer wieder.

Ritus Die Gottesdienstordnung in der Nessah-Synagoge folgt traditionell sefardischen Riten: Die Männer sitzen links, die Frauen rechts. Die Auslegungen hält Rabbi Shofet auf Persisch und Hebräisch. Als Zugeständnis an die heutige Zeit spricht nach ihm sein Sohn, der ebenfalls Rabbiner ist, ein paar Worte auf Englisch.

Für die Kinder und Enkel der einstigen Einwanderer gibt es in einem Mehrzweckraum am anderen Ende des Gebäudes einen Gottesdienst auf Englisch und Hebräisch. Der Raum liegt neben der Küche, in der am Freitag persische Eintöpfe für das gemeinsame Mittagessen am Schabbat zubereitet werden.

Viele, vor allem jüngere persische Juden in den USA verbinden das Judentum nicht primär mit dem Gottesdienstbesuch, sondern mit dem gemeinsamen Familienessen am Freitagabend.

So sagt der 33-jährige Arya Marvazy: »Wenn mich jemand fragt, ob wir am Freitag gemeinsam etwas unternehmen wollen, rufe ich, bevor ich zusage, erst einmal meine Mutter an, um nach den Plänen der Familie zu fragen.«

Auch für Tabby Rafael ist das Familienessen eine wichtige Tradition. »Freitag ist Gondi-Nacht«, sagt sie. Die Fleischbällchen aus gehacktem Hühnerfleisch und Kichererbsen bekämen nur die persischen Juden so gut hin. Für ihren dreijährigen Sohn muss sie allerdings Hühnerschnitzel machen. »Es bricht mir das Herz, dass er keine persischen Gerichte anrührt.«

Jüngere Iraner verbinden ihr Judentum vor allem mit dem Familienessen am Freitagabend.

Rafael sorgt sich um den Fortbestand solcher Traditionen. Mit der älteren Generation drohten nicht nur Rezepte, sondern auch die Geschichten über das Leben der Juden im Iran vor der Revolution und der Flucht nach Amerika auszusterben.

Auch um gegenzusteuern, gründete sie gemeinsam mit Freunden die »30 Years After«-Stiftung. Deren Ziel ist es, junge Juden iranischer Herkunft verstärkt in die gesellschaftlichen Strukturen der USA einzubeziehen und pro-israelische Stimmen zu fördern. So nimmt, nach dem Vorbild der Shoah Foundation, ein Team junger Aktivisten Videozeugnisse von persischen Flüchtlingen auf.

Der Anwalt Sam Yebri (38), einer der Gründer der Organisation, empfindet seine drei Identitäten – iranisch, jüdisch und amerikanisch – insgesamt als Vorteil. »Manchmal ist es kompliziert, aber ich beziehe viel Weisheit aus allen dreien«, sagt er.

Tabby Rafael sieht das ähnlich. Für ihre Kinder wünscht sie sich das Beste aus allen drei Welten: »Ich möchte, dass sie jüdische Werte verinnerlichen, die amerikanische Freiheit anstreben und die persische Gastfreundschaft nicht vergessen.«

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