Leicht machen es sich die Veranstalter des Schweizer Kulturfestivals »Culturescapes« (Englisch für »Kulturlandschaften«) wahrlich nicht. Jedes Jahr wählen sie sich ein Schwerpunkt-Land aus und suchen dabei offensichtlich die große Auseinandersetzung mit dem breiten Publikum: 2008 war die Türkei zu Gast, 2009 Aserbaidschan, 2010 China – Länder, deren Umgang mit Menschenrechten und Demokratie nicht als vorbildlich gilt. Doch gegen keinen dieser Staaten hat es eine derart große Opposition gegeben wie gegen das diesjährige Gastland: Israel.
Boykott Bereits lange im Vorfeld versuchten Aktivisten des Schweizer Ablegers der antiisraelischen Organisation BDS (Boykott – Desinvestition – Sanktionen), die Culturescapes-Macher um den in Basel lebenden Niederländer Jurriaan Cooiman davon abzubringen, Israel einzuladen. Die Boykott-Freunde, zu denen auch einige Schweizer Parlamentarier der Sozialdemokraten und der Grünen gehören, schrieben diskrete Briefe und sprachen vor. Weil der Veranstalter von seinem Plan nicht abrückte, drohten sie damit, die Veranstaltungen zu stören und gegen das Festival zu demonstrieren.
Doch auch dies brachte sie nicht weiter. Ganz im Gegenteil: Es hat den Anschein, dass sich Culturescapes-Direktor Jurriaan Cooiman regelrecht ermutigt fühlt, das Festival wie geplant durchzuziehen. Das betont er fast trotzig auch im persönlichen Gespräch: »Ich würde Israel wieder als Schwerpunkt-Land wählen«, sagt er, »jetzt erst recht.« Boykott halte er nicht nur in Bezug auf Israel für ein völlig falsches Mittel. Allerdings räumt er ein, dass es durchaus Ansatzpunkte für Kritik am jüdischen Staat gebe.
Cooiman bedauert sehr, dass die Boykott-Aufrufe eine gewisse Wirkung gezeigt haben: So hätten sich potenzielle Mitveranstalter in Bern und Zürich von dem Festival zurückgezogen, allerdings mit Ausflüchten. »Ich vermute, dass sie angesichts der Drohungen kalte Füße bekommen haben.« Was Cooiman trösten mag: Schon vor einiger Zeit hat die Schweizer Bundespräsidentin und Außenministerin Micheline Calmy-Rey die Schirmherrschaft der Veranstaltung übernommen. Das ist ein deutliches und für die Macher ermutigendes Zeichen, denn die Sozialdemokratin ist für ihre oft israelkritische Haltung bekannt.
Fremdbilder Cooiman wird nicht müde zu betonen, dass es ja gerade der kulturelle Austausch sei, der Fronten auflösen und Vorurteile bröckeln lassen könne – nicht zuletzt im Nahost-Konflikt. »Ich möchte, dass die Menschen genau hinschauen und bestehende Fremdbilder hinterfragen.« Im kulturellen Bereich, so der Niederländer, sei das sicher einfacher als in der Politik.
Was bis Ende des Jahres geboten wird, darf sich sehen lassen: ein wirklicher und repräsentativer Querschnitt durch zeitgenössisches israelisches Kulturschaffen. So geben sich die bekanntesten israelischen Musiker in Schweizer Städten die Klinke in die Hand – von dem Dirigenten David Greilshammer, der mit Orchestern in der ganzen Welt arbeitet, über den Klarinettisten Gilad Harel bis zu Yonathan Kunda und Neta Weiner, zwei Mitgliedern der Rap-Band System Ali oder dem Idan Raichel Project, einer Mischung aus afrikanischen, lateinamerikanischen und nahöstlichen Klängen.
Auf ihre Kosten kommen aber auch Kulturfreunde anderer Sparten. Es gibt zahlreiche Theaterpremieren in verschiedenen Schweizer Städten, auf dem Programm steht sogar die Wiederaufnahme des Klassikers Dibbuk von Salomon Anski. Und dies in einer Inszenierung, die selbst längst ein Klassiker ist und vor Jahren auch schon in Berlin zu sehen war.
Mit einer Marathonlesung des Romans Black Box des israelischen Schriftstellers Amos Oz greift am ersten Oktober-Wochenende auch das Theater Basel ins Culturescapes-Geschehen ein. Speziell an dem Festival ist, dass in seinem Rahmen auch Schweizer kulturelle Einrichtungen nach Israel reisen und dort für das helvetische Kulturschaffen werben. »Das ist bei Culturescapes eine Premiere«, betont Cooiman. Als vielleicht spektakulärste Veranstaltung gilt ein Konzert, bei dem die Basler Madrigalisten gemeinsam mit dem Israel Camerata Orchestra vor exotischer Kulisse musizieren: in Abu Gosh, einem arabischen Vorort von Jerusalem.
Eröffnet wird Culturescapes am kommenden Mittwoch mit einer großen Veranstaltung im Theater Basel. Die Rheinstadt bildet auch den geografischen Hauptschwerpunkt des Festivals. Das ist wohlüberlegt, denn nur ein paar Schritte vom Theater entfernt, im Stadt-Casino, tagte vor 114 Jahren der erste Zionisten-Kongress. Was Theodor Herzl, der »Vater des Judenstaates«, wohl zu der Tatsache gesagt hätte, dass die Eröffnung eines kulturellen Großanlasses mit Israel im Mittelpunkt möglicherweise unter Polizeischutz ablaufen muss?