»Es ist für jüdische Studierende schwer im Moment, besonders, wenn sie über ihre Erfahrungen mit Antisemitismus reden.« Das sagt Julia Jassey. Die 20-jährige studiert seit zwei Jahren Politikwissenschaften sowie jüdische Studien an der Universität von Chicago.
PARTNERSCHAFT Jassey hat eine Initiative gegründet, die sich unter anderem dem Kampf gegen den Judenhass verschrieben hat. Jews on Campus heißt sie. Am Dienstag gab der Jüdische Weltkongresses (WJC) in New York bekannt, dass man eine Partnerschaft mit Jasseys Organisation eingehen werde, um etwas gegen den grassierenden Antisemitismus an den Hochschulen in den USA und weltweit zu tun und damit jüdischen Studierenden zur Seite zu stehen.
»Ein Campus sollte ein Ort sein, an dem die freie Äußerung von Gedanken und die Ideen möglich ist, und nicht eine Brutstätte für Hass und Antisemitismus«, erklärte WJC-Präsident Ronald S. Lauder. »Jüdische Studenten sollten ihre Identität frei zum Ausdruck bringen können, ohne Gefahr zu laufen, schikaniert zu werden.« Es sei, so Lauder weiter, »von großer Bedeutung, jungen Menschen dabei zu helfen, falsche Narrative zu bekämpfen.«
ZEUGEN Wie sehr sich judenfeindliche Gesinnung an den amerikanischen Universitäten ausgebreitet hat, belegte eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage der Organisationen ADL und Hillel. Ein Drittel der befragten 756 jüdischen Studierenden an 220 Hochschulen landesweit gaben an, im vergangenen Jahr von Antisemitismus auf dem Uni-Campus betroffen gewesen zu sein, vier Fünftel von ihnen sogar mehr als einmal. 31 Prozent der Befragten wurden Zeugen antisemitischer Aktivitäten auf dem Campus, auch wenn diese nicht direkt gegen sie gerichtet waren.
Die befragten jüdischen Studierenden äußerten sich besorgt über Antisemitismus von der politischen Linken, der Mitte und der Rechten. Auch wenn die meisten der Befragten (71 Prozent) sich sicher fühlten, gab jeder siebte Befragte an, dass man die eigene jüdische Identität vor anderen auf dem Campus verstecken müsse, und 12 Prozent erklärten, sie würden persönlich für Handlungen der israelischen Regierung verantwortlich gemacht, weil sie Juden seien.
Ein weiteres Problem: Die meisten Fälle von antisemitischen Beleidigungen und tätlichen Angriffen werden nicht gemeldet. Weniger als ein Viertel der Befragten gaben in der Umfrage an, bei judenfeindlichen Kommentaren online diese auch zu melden.
VORURTEILE Eine vor kurzem veröffentlichte Umfrage des Brandeis Centers for Human Rights under Law kam zu ähnlichen Ergebnissen. Dort gaben rund die Hälfte der befragten jüdischen Studierenden an, an den Colleges ihre Zugehörigkeit zum Judentum wenigstens teilweise zu verstecken.
Der Bildungsexperte Evan Gerstmann führt das vor allem auf die zunehmend polarisierte Debatte über Israel zurück. »An vielen Universitäten ist es üblich geworden, den jüdischen Staat mit möglichst übertriebenen Worten und Formulierungen zu beschreiben. Israel wird beschuldigt, einen ›Völkermord‹ und ›ethnische Säuberungen‹ zu begehen, ›Apartheid‹ zu praktizieren und sich wie ›Faschisten und Nazis‹ aufzuführen.
WERKZEUGE Darüber hinaus bestünden weitere Vorurteile gegenüber Juden; sie würde als »weiße Europäer« wahrgenommen, die ihre Sprösslinge an die US-Universitäten schickten, um Propaganda für Israel zu machen, so Gerstmann in einem Beitrag für das Magazin »Forbes« im September. Solche tiefsitzenden Vorbehalte zu überkommen sei nicht einfach. Aber, betonte Gerstmann, ein Anfang wäre, dass an Colleges in den USA das Wissen über Israel besser und faktengetreuer vermittelt werde.
Julia Jassey will den Kopf jedenfalls nicht in den Sand stecken. »Gerade weil Studierende heftig vom Antisemitismus auf dem Campus betroffen sind, sollte ihnen auch die Werkzeuge in die Hand gegeben werden, um ihn zu bekämpfen«, erklärte sie.