Besser hätte sich Daniel Angelici den 4. Dezember vergangenen Jahres nicht ausmalen können. Erst wurde der Argentinier zum neuen Präsidenten des Fußballclubs Boca Juniors aus Buenos Aires gewählt. Dann feierte er mit einem 3:0-Erfolg über Banfield vorzeitig die Meisterschaft und blieb zugleich im 27. Spiel hintereinander ungeschlagen.
Die Frage, wer Boca-Präsident und damit Chef des Klubs wird, bei dem einst Diego Maradona spielte, ist in Argentinien ein Politikum. Entsprechend wurde der 47-jährige Angelici vom früheren Boca-Präsidenten und heutigen Bürgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri, unterstützt.
restaurant Und kurz vor der Präsidentenwahl waren die beiden in dem bei orthodoxen Juden beliebten Restaurant »Sucath David« in Buenos Aires’ Hafenviertel Once aufgetreten. Der Abstecher war jedoch weniger dem Glauben als Aberglauben geschuldet: Sie wollten so die Stimmen jüdischer Boca-Fans für sich sichern.
»Wir wissen, dass es viele Boca-Fans in der jüdischen Gemeinde gibt, und viele von denen sind in Once«, sagte Marcelo London, ein Boca-Funktionär. Dabei ist Boca nicht unbedingt als jüdischer Klub bekannt. Nicht mal, dass er unter Juden besonders beliebt wäre, lässt sich behaupten. Er gilt als Club des Volkes, der vor allen in den unteren Schichten verwurzelt ist. Seine Fans werden von gegnerischen Anhängern immer wieder als »Bolivianer und Paraguayer« beschimpft.
Im März 2000 hatte unter anderem der jüdische Dachverband Argentiniens, DAIA, protestiert, als Fans des Konkurrenzklubs Independiente bei einem Match gegen Boca Juniors Fahnen Boliviens und Paraguays zeigten und dazu schmähende und auch antisemitische Slogans riefen. Der Schiedsrichter hat nichts dagegen unternommen, obwohl die Regeln Sanktionen vorsehen.
jüdischer klub Dass die Regeln oft das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt werden, kann vor allem der Zweitligaclub Atlético Atlanta aus eigener leidvoller Erfahrung bestätigen. Der 1904 gegründete Verein gilt wegen seiner Heimstatt im von vielen Juden bewohnten Viertel Villa Crespo in Buenos Aires wirklich als »jüdischer Klub«. Zwar gab es immer wieder jüdische Funktionäre oder Spieler, aber damit seht Atlanta in Argentinien, dem Land mit der größten jüdischen Gemeinde Lateinamerikas, keineswegs alleine da.
Namhafte Spieler wie Jaime José Rotman oder Fabian Lagman haben in ihrer Karriere das blau-gelbe Klubtrikot übergestreift. Lagman wechselte 1988 nach Israel zu Maccabi Haifa. Der israelische Verein verpflichtete damals eine ganze Reihe jüdischer Spieler aus Argentinien, da diese im Heiligen Land als Einwanderer gelten – und nicht als Ausländer. Die Jewish Agency bezahlte alle Reise- und sogar einen Teil der Lebenshaltungskosten der Spieler, was den Klubhaushalt entlastete. Neben Lagman kamen so auch Fabian Grimberg und Patricio Sayegh nach Haifa.
In Argentinien kommt es bei Spielen von Atlanta immer wieder zu antisemitischen Ausfällen gegnerischer Fans. Der erste größere Vorfall ereignete sich 1979, als die Anhängerschaft von Platense »Ahí viene Adolfo...« (»Hier kommt Adolf...«) sang, wie sich der frühere Atlanta-Präsident Jorge Rubinska in einem Interview erinnert – sozusagen den eigenen Verein mit dem Vernichtungswillen Hitlers in Bezug setzend.
schmähung Bei Auswärtsspielen Atlantas sind immer wieder Lieder über »abgeschnittene Schwänze« der Atlanta-Fans zu hören. Im Februar 2000 warfen Anhänger von Defensores de Belgrano beim Einlaufen der Atlanta-Spieler Seifenstücke aufs Spielfeld. Dazu sangen sie: »Con los judíos hacemos jabón« – aus den Juden machen wir Seife.
Vom Fußballverband dürfen sich die so Beleidigten nicht allzu viel Hilfe erhoffen: Dessen Vertreter sind selbst nicht vor antisemitischen Ausfällen gefeit. Als Julio Grondona, der seit 32 Jahren amtierende und gerade wiedergewählte Verbandschef und Vizepräsident der FIFA, im Juli 2003 in einem Fernsehinterview gefragt wurde, warum es bei ihm keine jüdischen Schiedsrichter gäbe, antwortete er: »Die Juden schaffen es nicht, Schiedsrichter in der ersten Liga in Argentinien zu werden, weil die Welt des Fußballs ein bisschen schwierig und arbeitsaufwendig ist, und die Juden mögen keine schwierigen Sachen.«
Das daraufhin angestrengte Verfahren gegen Grondona wegen Antisemitismus wurde irgendwann eingestellt. Der Interviewer jedoch verlor seinen Job und arbeitet seither nicht mehr in den Medien.