Der Anschlag auf die Synagoge in Halle am jüdischen Feiertag Jom Kippur hat einmal mehr gezeigt, wie gefährdet Juden in Europa sind.
Hätte der Rechtsterrorist die Synagogen-Tür aufbrechen können, wäre es wohl zu einem Blutbad gekommen. Schon länger gibt es in der Schweiz Diskussionen, wie die jüdischen Gemeinden besser geschützt werden können. Doch das kostet Geld.
Sicherheit »Die Sicherheitsmaßnahmen in der Schweiz sind schon seit einigen Jahren auf einem hohen Stand«, sagt dazu der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), Herbert Winter.
Halle habe daran nichts geändert. »Das Attentat wird aber in die Sicherheitsanalysen einfließen.« Laut dem Schweizer Nachrichtendienst gilt für Juden in der Schweiz eine erhöhte Gefährdungsstufe. Dennoch sei die Risikolage »zum Glück nicht derart dramatisch« wie in anderen Ländern Europas, sagt Winter.
Zum Teil müssen Synagogen in der Schweiz ihre Gemeindearbeit reduzieren, um Gelder für Sicherheitsvorkehrungen aufzubringen. Umso mehr hoffen jüdische Gemeinden auf Unterstützung durch Städte, Kantone und den Bund.
Kanton Die Schweizer Bundesregierung habe unlängst 500.000 Franken in Aussicht gestellt für gefährdete Minderheiten, also auch für Muslime. Eine Umfrage unter Kantonen zeigt: Basel-Stadt und Zürich ziehen mit – doch die anderen Kantone drücken sich bislang vor konkreten Zusagen.
»Wir erwarten von den Kantonen ein größeres Engagement in diesem Bereich, auch weil sie diesen verfassungsmäßigen Auftrag haben«, betont Winter. »Wir erhoffen uns ein Umdenken in naher Zukunft.«
Die Diskussion über finanzielle Unterstützung jüdischer Gemeinden hatte in den vergangenen Jahren bisweilen einen antisemitischen Unterton – nach dem Motto: Juden hätten doch genügend Geld, um selbst die Sicherheitsausgaben zu stemmen.
Staatsaufgabe »Auf derartige Formulierungen gehe ich gar nicht ein«, erklärt Winter. »Fakt ist: Der Schutz von Bürgern und Einwohnern dieses Landes ist klar Staatsaufgabe. In dieser Hinsicht wurde von Seiten des Staates in den letzten Jahren zu wenig unternommen.«
Die Politik der Kantone kritisiert auch Johanne Gurfinkiel, Generalsekretär der Genfer Koordinierungsstelle gegen Antisemitismus und Diffamierung CICAD. »Wir können diese Situation nur bedauern«, sagt er.
»Der Bundesrat macht einige Schritte in die richtige Richtung, aber den französischsprachigen Kantonen ist das egal.« Der Anschlag von Halle habe die »Behörden nicht ermutigt, wachsamer zu sein. Das ist sehr bedauerlich.«
Finanzielle Zusagen gibt es bislang nur von den Kantonen Zürich und Basel-Stadt. Der Kanton Aargau teilt auf Anfrage mit, derzeit gebe es »keine gesetzliche Grundlage für die Leistung von finanziellen Beiträgen an die Sicherheitskosten von gefährdeten Minderheiten«.
Grundlage Allerdings wolle der Regierungsrat das Polizeigesetz überarbeiten und die gesetzliche Grundlage für die finanzielle Unterstützung von Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen schaffen.
Auch der Kanton Bern verspricht zu handeln: Nach Inkrafttreten der Bundesverordnung noch im November werde sich der Regierungsrat rasch an die innerkantonale Umsetzung machen.
Der Kanton Freiburg äußert Verständnis für das Anliegen, dennoch: »Wir stellen der Jüdischen Gemeinde Freiburg keinen finanziellen Beitrag für besondere Sicherheitsmaßnahmen zur Verfügung.« Aus Zug heißt es, eine Beteiligung sei »grundsätzlich gerechtfertigt«, allerdings sei vor Ort »kein Bedarf erkennbar«.
Der Kanton Genf nennt die Forderung des Bundes einen »Schritt in die richtige Richtung«, die mit eigenen Anstrengungen übereinstimme. Finanzielle Zusagen macht er aber nicht, ebenso wenig wie die Kantone Jura und Waadt. »Diese Frage wird im Lichte des finanziellen Engagements des Bundes zu prüfen sein. Das haben wir der Jüdischen Gemeinde Lausanne vor dem Sommer gesagt«, heißt es aus Waadt.
Das Tessin weist darauf hin, dass die Behörden mit dem Rabbiner von Lugano in Kontakt seien. An jüdischen Feiertagen oder zu besonderen Anlässen gebe es »präventive Kontrollaktivitäten von den Patrouillen der kantonalen Polizei«. Zusätzliche finanzielle Maßnahmen seien aber nicht vorgesehen, ebenso wenig wie in Luzern oder St. Gallen.
Armee Dass Antisemitismus alle gesellschaftlichen Bereiche durchzieht, zeigen unterdessen auch Vorfälle in der Schweizer Armee. 2018 wurde an einem Infotag ein orthodoxer Rekrut vom Offizier seiner Gruppe schikaniert und antisemitisch beschimpft – worauf die Armee reagierte.
2019 kam es zu Schmierereien »mit rechtsextremistischen und antisemitischen Inhalten an der inneren Wand eines Holzwachthauses«, wie die Fachstelle Extremismus der Armee mitteilt. Der Vorfall sei »Gegenstand einer laufenden Untersuchung der Militärjustiz«. kna