USA

Jews without Money

Die größte Gruppe von Armen sind russischsprachige Senioren. Viele wohnen in Brighton Beach. Foto: Daniel Rosenthal

Die reichen Juden von New York sind ein Klischee. Jeder Antisemit kann einem erklären, dass die Wall Street fest in jüdischer Hand ist, dass jüdische Bankiers die Wirtschaftskrise erfunden haben und dass Juden als Hausbesitzer in New York einen enormen Reibach machen. Ein neuer Bericht der UJA-Federation – das ist die bekannteste und größte jüdische philanthropische Organisation dieser Stadt – setzt solchen Gerüchten alarmierend rote Zahlen entgegen.

Einwanderer Was die Antisemiten behaupten, ist erstunken und erlogen. Die Wahrheit sieht anders aus: In New York hat die Armut unter Juden zugenommen – das zeigen Statistiken, die anno 2011 erhoben wurden. Das Ergebnis: 560.000 Menschen leben in 200.000 Haushalten, die als arm oder nahezu arm eingestuft werden. Mit anderen Worten: Einer von fünf jüdischen Haushalten in New York ist arm. Besonders betroffen sind alte Menschen und Kinder. 45 Prozent von ihnen wachsen heute in Armut auf. Die größte Gruppe der Bedürftigen aber sind russischsprachige Senioren, Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.

Vor ein paar Jahren erschien in der linken jüdischen Zeitung »Forward« ein Leitartikel, in dem es hieß: »Jene Armut, die eine große und wachsende Gruppe von orthodoxen Juden in New York betrifft, ist von anderer Art als jene Armut, mit der wir historisch konfrontiert waren.« Es handele sich nicht um die Armut von Neueinwanderern, die mit ein paar Dollar in der Tasche hier ankommen, las man. Es handele sich auch nicht um jene Armut, die durch Diskriminierung hervorgerufen wird. »Dies ist eine Armut aus freier Wahl. Unter den Charedim werden große Familien geschätzt, ja sogar gefordert. Frauen haben dadurch wenig Gelegenheit, außer Haus zu arbeiten, und für Männer ist die höchste Pflicht nicht, dass sie den Lebensunterhalt verdienen, sondern dass sie die heiligen Schriften studieren.«

CHaredim Der neue Armutsbericht der Federation zeigt, dass diese Einschätzung falsch ist – oder zumindest ergänzt werden muss. Die größte Gruppe von Armen sind eben, wie angedeutet, nicht die Charedim, sondern russischsprachige alte Menschen (26 Prozent). Ihr Problem ist, dass sie zu spät nach Amerika ausgewandert sind. Sie haben hier nicht lange genug gearbeitet, als dass sie nun berechtigt wären, Sozialleistungen zu beziehen. Viele von ihnen sind aus Altersgründen auch nicht in der Lage, die bürokratischen Hürden zu überwinden, um sich von der Stadt gratis mit Essen versorgen zu lassen.

Die nächste Gruppe sind dann tatsächlich fromme Juden (17 Prozent). Aber hier muss man genau sein: Nur wenige der »jeschiwischen« Haushalte (ultrafromm, aber nicht weltabgewandt) sind arm, und Angehörige der »modern-orthodoxen« Richtung sind unter den Armen ohnehin kaum vertreten. Nein, arm sind in dieser Kategorie beinahe ausschließlich die Chassidim. Und ihr Problem ist häufig nicht, dass sie arbeitsunwillig wären, sondern dass sie nicht genug säkulare Bildung haben. Sie sind auf dem modernen Arbeitsmarkt schlicht nicht vermittelbar.

Die nächstgrößere Gruppe unter den Armen sind Senioren, die nicht aus der früheren Sowjetunion kommen (16 Prozent), gefolgt von Arbeitslosen (13 Prozent) und von Russen, die nicht Senioren sind (acht Prozent). Wenn eine Person unter 18 Jahren im Haushalt lebt, vergrößert sich das Armutsrisiko sprunghaft. Die größte Gruppe von armen Juden lebt in Brooklyn.

Man kann an die Studie zwei grundsätzliche Fragen richten. Erstens: Wie wird in diesem Zusammenhang ein »jüdischer Haushalt« definiert? Und zweitens: Was heißt hier »arm«?

Die erste Frage ist einfach zu beantworten: Als »jüdisch« gilt ein Haushalt mit mindestens einem erwachsenen Juden. Als »Jude« wird gerechnet, wer sich selbst so bezeichnet, mit einer Ausnahme: sogenannte messianische Juden – also Christen, die sich als Juden verkleiden – gehören nicht dazu.

Die Antwort auf die zweite Frage ist komplizierter. Wer in Amerika als arm gilt, wäre in Honduras ein Krösus. Zugrunde gelegt wurde eine Definition der amerikanischen Bundesregierung: Man nehme die Summe, die man braucht, um Grundnahrungsmittel für jedes Familienmitglied zu kaufen, und multipliziere sie mit drei. Dann hat man ein Nettogehalt, unterhalb dessen die Armut beginnt. (Schließlich muss man auch noch Miete und Arztkosten aufbringen und gelegentlich Kleidung kaufen.)

Lebenshaltungskosten Für die Stadt New York, wo die Lebenshaltungskosten deutlich höher sind als im Rest von Amerika, hat die UJA-Federation 150 Prozent dieser Basis-Summe veranschlagt. Das ist eine konservative Schätzung. Als die Daten erhoben wurden, war eine der Fragen: »Kommen Sie finanziell über die Runden?« 14 Prozent der Armen und neun Prozent jener, die als beinahe arm gelten, antworteten darauf mit: Nein. Die übergroße Mehrheit der Armen gibt zu Protokoll: »Wir schaffen es gerade so, können uns nichts zurücklegen.« Just dies gilt aber auch für ein Viertel jener Juden, die überhaupt nicht arm sind.

Dies ist die Stelle des Armutsberichts, an der seine Auftraggeber alle wissenschaftliche Zurückhaltung aufgeben. Sie kommentieren: »In einer der reichsten Gesellschaften in der Menschheitsgeschichte ist ein solcher Befund nicht akzeptabel.«

www.ujafedny.org/get/525046

Porträt

Klang des Lebens

Sie wurde gehörlos geboren und musste lernen, sich in der Welt der Hörenden zurechtzufinden. Darüber schrieb sie ein Buch, das zum Bestseller wurde. Eine Begegnung mit Fiona Bollag

von Nicole Dreyfus  15.03.2025

Brüssel

Früherer EJC-Chef Kantor von EU-Sanktionsliste gestrichen

Die Streichung des russisch-britischen Geschäftsmanns erfolgte offenbar auf Druck der ungarischen Regierung

 14.03.2025

Dänemark

Jüdin in Kopenhagen attackiert

Die Angreifer beschimpften sie als »zionistisches Stück Scheiße« und würgten ihr Opfer

 14.03.2025

Irak

Bericht: Israelisch-russische Geisel Elizabeth Tsurkov möglicherweise im Iran

Nachdem die USA im Fall der entführten Elizabeth Tsurkov den Druck auf den Irak erhöhen, heißt es, die Geisel wurde in den Iran verschleppt

 12.03.2025

Belgien

Fantasien über Mord an Juden fallen unter die Meinungsfreiheit

Entsetzen in der jüdischen Gemeinschaft: Ein Kolumnist wurde vom Vorwurf der Aufstachelung zur Gewalt gegen Juden freigesprochen

von Michael Thaidigsmann  12.03.2025

Österreich

Zwei Wochen lang »Shalom Oida«

Das Jüdische Filmfestival in Wien präsentiert die Realität jüdischen Lebens – von Antisemitismus bis Schidduch

von Stefan Schocher  11.03.2025

Frankreich

»Mach hier nicht auf Jude«

Eine Umfrage unter 2000 Jugendlichen zeigt, wie sich antisemitische Vorurteile auch an französischen Schulen ausbreiten

von Michael Thaidigsmann  10.03.2025

Porträt

Der Iberzetser

Dass Russen heute noch Einblick in die jiddische Literatur erhalten, ist vor allem Walerij Dymschiz zu verdanken. Ein Treffen mit dem Sprachmittler in seiner Stammkneipe in St. Petersburg

von Polina Kantor  09.03.2025

Großbritannien

Auf der Couch bei Ms. Freud

Sie ist die Urenkelin des prominentesten Psychologen der Welt. In ihrem Video-Podcast »Fashion Neurosis« stellt Bella Freud die Fragen

von Nicole Dreyfus  08.03.2025