Was führt eine Schulklasse des jüdischen Gymnasiums Berlin, den Botschafter Griechenlands in Deutschland, die Sonderbeauftragte für Beziehungen zu jüdischen Organisationen im Auswärtigen Amt und die Tochter von Inhabern eines Buchladens in Thessaloniki an einem Abend im Berliner Kino »Babylon« zusammen? Es ist die Geschichte der Buchhandlung Molho, erzählt in einem Dokumentarfilm von Nina Molho, der hier vor rund 200 Gästen mit viel Applaus aufgeführt wird.
Ladino Molhos Eltern wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in Thessaloniki geboren. Damals lebten rund 90.000 Juden in der Stadt. Beide kamen aus sefardischen Familien und sprachen Ladino, das heute fast ausgestorben ist. Die Schoa überlebten Mair Molho und Renee Saltiel Molho durch glückliche Umstände und mutige Helfer. Mair sandte 1945 ein Telegramm an Renee, die sich nach Palästina gerettet hatte: Er bat sie, seine Frau zu werden und mit ihm den Buchladen seiner Eltern in Thessaloniki zu übernehmen. So kam es dann auch, und beide führten den Laden mit großer Leidenschaft und brachten ihn zu einer gewissen Berühmtheit über die Stadtgrenzen hinaus. Im Jahr 2004 schloss Renee das Geschäft, für das es in der modernen Zeit keinen Platz mehr gab. Kurz darauf starb sie.
Mit dem Film erinnert Tochter Nina nicht nur an ihre Eltern und die Geschichte ihrer Buchhandlung, sondern auch an die glanzvolle Zeit jüdischen Lebens Anfang des 20. Jahrhunderts in Thessaloniki.
Centropa Zusammen mit Edward Serotta, dem Direktor von Centropa, einer Organisation, die sich der Dokumentation jüdischer Geschichte weltweit widmet, gelang es, die Erinnerung in Form eines Films festzuhalten. Das Drehbuch schrieb Nina gemeinsam mit Serotta in ihrer Küche in Thessaloniki.
Unterstützt wurde das Projekt von den jüdischen Museen in Thessaloniki und Berlin. Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Berliner Museums, berichtet, wie es dazu kam: »Auf einer Reise mit dem damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann kamen wir in Thessaloniki auf die Idee, ein Projekt zusammen mit dem dortigen jüdischen Museum zu realisieren. Und gemeinsam mit Herrn Serotta entstand die Idee, einen Film über die Buchhandlung Molho zu machen.«
Schoa Sibylla Bending vom Auswärtigen Amt beeindruckte es, sich zu vergegenwärtigen, wie reich das jüdische Leben in Thessaloniki vor dem Holocaust war. So gab es damals an die 100 Synagogen, 40 jüdische Zeitungen, jüdische Boxvereine, Krankenhäuser – und den größten jüdischen Friedhof der Welt mit rund 350.000 Gräbern, entstanden in der Zeit des römischen Reiches. Nach der Schoa lebten nur noch etwa 1000 Juden in der Stadt.
Für Serotta ist es besonders wichtig, das Interesse an jüdischer Geschichte auch bei Jugendlichen wachzuhalten. Er ist sich sicher, dass Filme dabei eine besonders geeignete Form sind. So wurden auch die Berliner Schüler, als die Filmvorführung begann, sofort still und hörten auf, mit ihren Handys zu spielen. Und am Ende klatschten sie lange Beifall.
Auch in den Vereinigten Staaten und besonders bei griechischen Lehrern ist der Film bereits auf großes Interesse gestoßen. Neben zahlreichen anderen Interviews und jüdischen Biografien ist der Streifen kostenlos auf der Homepage von Centropa zu sehen.
Am kommenden Sonntag und Montag veranstaltet Centropa in Frankfurt am Main ein Seminar für 40 jüdische Lehrer aus ganz Europa. Der Titel: »Fertigkeiten erarbeiten – Netzwerke schaffen«. Dabei soll es vor allem um das sefardische Erbe und die Holocaust-Erziehung an jüdischen Schulen im 21. Jahrhundert gehen. Unterstützt wird das Seminar unter anderem vom Zentralrat der Juden in Deutschland, der jüdischen Gemeinde Frankfurt und der Ronald S. Lauder Foundation.