Brüssel

»Jeder kann jeden vorschlagen«

Umstritten: das geplante Parlament Foto: Fotolia

Tomer Orni war in euphorischer Stimmung: »Diese Wahlen bedeuten für die europäischen Juden den Beginn einer neuen Ära. Von heute an hat jeder eine Stimme.« Was den Vizepräsidenten der European Jewish Union (EJU) so begeisterte, ist in der Tat historisch: Am 18. Oktober begann die Online-Abstimmung über die 120 Sitze im neu zu schaffenden europäisch-jüdischen Parlament. In 54 Ländern, darunter Gibraltar, Usbekistan, Marokko oder Tunesien, stehen insgesamt mehr als 1.000 Kandidaten zur Wahl – eine »überwältigende« Anzahl, heißt es auf der Webseite der Initiatorin EJU, wo bis Mitte November die Wahl stattfindet.

Zwei Ideen liegen dem Parlament zugrunde, das schon im kommenden Monat in Brüssel die Arbeit aufnehmen soll: Man will eine Art direkte Demokratie schaffen, da »jeder jeden als Kandidaten vorschlagen kann«, wie die EJU im Vorfeld verlauten ließ, und nun auch die Wahl per Mausklick denkbar einfach verläuft. Dadurch beabsichtigt man, neben bekannten Rabbinern und hohen Gemeindefunktionären Juden aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens als Repräsentanten zu gewinnen.

illustre Mischung Ein Blick auf die Kandidatenlisten offenbart folglich eine illustre Mischung: In Rumänien tritt unter anderen der Schriftsteller und Schoa-Überlebende Elie Wiesel an, in Frankreich die Schauspielerin Charlotte Gainsbourg, in Spanien der Sänger Julio Iglesias, in Deutschland der Journalist Henryk M. Broder und in Großbritannien der Komiker Sacha Baron Cohen.

Daneben finden sich Vertreter der etablierten jüdischen Organisationen, etwa Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, sowie die Oberrabbiner der Niederlande und Großbritanniens, Binyomin Jacobs und Jonathan Sacks. Dies scheint zunächst bemerkenswert, denn die European Jewish Union – finanziert von zwei ukrainischen Multimilliardären und im Frühjahr unter heftigen Streitigkeiten vom European Council of Jewish Communities (ECJC) abgespalten – stößt nicht überall auf Zuspruch.

Möglicherweise ist dies jedoch durch das Prinzip »Jeder kann jeden vorschlagen« bedingt. Die EJU jedenfalls bittet »Kandidaten, die nicht gewählt werden möchten«, um eine Nachricht. Wer absagt, für den rückt die folgende Person mit den meisten Stimmen nach.

Nichtjüdische Kandidaten Nach den Profilen der Kandidaten sucht man im virtuellen Wahllokal allerdings vergeblich. Obwohl die EJU »vollständige Transparenz« verspricht, finden sich auf der Webseite nicht einmal steckbriefliche Informationen über die angehenden Abgeordneten. Skeptisch sind auch die – spärlichen – Nutzerkommentare. Bemängelt wird dort, manche Kandidaten seien in jüdischen Gemeinden unbekannt, hätten aber »viele Computerfreunde in sozialen Netzwerken«. Auf den Listen von Georgien und Ungarn sollen zudem nichtjüdische Personen stehen.

USA

Der Lautsprecher

Howard Lutnick gibt sich als Architekt der amerikanischen Zollpolitik. Doch der Handelsminister macht sich mit seiner aggressiven Art im Weißen Haus zunehmend Feinde

von Sebastian Moll  18.04.2025

Ungarn

Die unmögliche Geige

Dies ist die zutiefst berührende Geschichte eines Musikinstruments, das im Todeslager Dachau gebaut und 70 Jahre später am Balaton wiedergefunden wurde

von György Polgár  17.04.2025

Medien

Noa Argamani ist auf der »Time 100«-Liste

Alljährlich präsentiert das »Time Magazine« die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. 2025 ist auch eine freigelassene israelische Geisel dabei

 17.04.2025

USA

Neuauflage von Weinstein-Prozess startet

Vor gut einem Jahr überraschte ein Gericht in New York die Welt und hob das historische Vergewaltigungsurteil gegen Harvey Weinstein auf. Nun wird über die Vorwürfe erneut verhandelt

von Benno Schwinghammer  14.04.2025

Türkei

Die Optimistin

Liz Behmoaras schrieb über das jüdische Leben im Land – und für das Miteinander. Ein Nachruf

von Corry Guttstadt  14.04.2025

Ägypten

Gefährliches Paradies

Der Sinai ist einer der wenigen Urlaubsorte im Ausland, den Israelis auf dem Landweg erreichen können. Gern auch zu Pessach. Aber zu welchem Preis?

von Matthis Kattnig  11.04.2025

Feiertag

Putzen, Plagen, Playmobil

Neben Mazza und Haggada bietet Pessach Raum für ganz neue, individuelle Rituale. Wir haben uns in sieben Familien in Europa und Israel umgehört

von Nicole Dreyfus  11.04.2025

Israel-Boykott

Johnny Rotten nennt Hamas »einen Haufen von ›Judenvernichtern‹ «

Eine irische Zeitung hat versucht, den Ur-Punk Johnny Rotten vorzuführen, der sich kraftvoll gegen einen Boykott Israels wehrt. Das ging gründlich schief

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025

USA

Eine Hochschule und ihr LGBTQ-Klub

Die einen feiern den »Meilenstein für queere Juden«, die Yeshiva University rudert zurück. Nicht nur die orthodoxe Gemeinschaft ist verwirrt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025