Wer nicht weg ist, wird gesehen» – wenn niederländische Kinder Verstecken spielen, gehört dieser Ausruf unweigerlich dazu. Bezogen auf die Situation der Schoa-Überlebenden im Land, lösen die geflügelten Worte jedoch im doppelten Sinn Beklemmung aus: einmal, weil während der deutschen Besatzung auch das sicherste Versteck oft nicht dauerhaft davor schützte, gesehen zu werden.
Zum anderen, weil nach der Befreiung nur gut jeder Zehnte der einst 140.000 Juden aus den Todeslagern zurückkehrte. Auch die wenigen Verbliebenen befanden sich damit in einem Zustand schmerzhafter Sichtbarkeit. Die verstärkte Auswanderung nach Israel bestätigte die allgemeine Einschätzung, jüdisches Leben zwischen Maastricht und Groningen habe keine Zukunft.
Alt-Politiker Frits Bolkestein, der orthodoxen Juden aufgrund des zunehmenden Antisemitismus in den Niederlanden zur Emigration riet, nahm diese pessimistische Sichtweise zuletzt wieder auf. Düster stimmt viele auch, dass die jüdischen Gemeinden weiterhin die Kosten ihrer eigenen Sicherheit bezahlen müssen, wie das zuständige Ministerium erst zu Jahresbeginn bestätigte.
Alldem zum Trotz würdigt das Jüdisch-Historische Museum (JHM) in Amsterdam zur Zeit just «die jüdischen Niederlande nach dem Zweiten Weltkrieg» mit einer Ausstellung. Dass ihr Titel «Wie niet weg is, is gezien» lautet – die niederländische Originalversion des Kinderreims –, zeugt von Trotz, neuem Selbstbewusstsein und von Stolz, dass «aus dem tiefen Loch eine Brücke geschlagen wurde zu einem vitalen jüdischen Leben», so der Historiker Hans Goedkoop bei der Eröffnung Ende vergangenen Jahres.
Noch bis Mai können Besucher sich anhand einer Vielzahl von Medien ein Bild der letzten 65 Jahre machen: Filme, Musik und Literatur, Fotos und Interviews, religiöse Gegenstände und persönliche Erinnerungsstücke fügen sich zu einem reichhaltigen Mosaik zusammen.
Zeitgefühl Wer der Ermunterung des Personals nachkommt – sämtliche Objekte können, ja sollen angefasst, Schubladen aufgezogen, Vitrinentüren geöffnet werden –, kann angesichts dieser Fülle leicht das Zeitgefühl verlieren. Als optischer Leitfaden dient eine 15-minütige Video-Collage, die auf drei Leinwänden Ausschnitte aus Nachrichtensendungen, Dokumentationen oder Talkshows zeigt. Sie beginnt mit Luftbildern des zerstörten jüdischen Viertels von Amsterdam nach der Befreiung 1945 und zeigt das Alijaschiff «Negbah» mit 600 Passagieren.
Man sieht David Ben-Gurion beim Empfang auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol, Israel-Solidaritätskundgebungen in niederländischen Städten während des Sechs-Tage-Kriegs 1967, aber auch eine eskalierende Pro-Palästina-Demonstration im Zentrum von Amsterdam. Nach einem radikalen Schnitt folgen Aufnahmen einer Chanukkafeier am selben Ort, und schließlich tuckert ein Boot jüdischer Homosexueller während der Gay-Parade durch die Grachten der Hauptstadt.
Die Installation ist allerdings nur eine Annäherung: ein Schnelldurchlauf durch die Nachkriegszeit, wie sie von außerhalb, aus Sicht der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft, wahrnehmbar war. Viele der Themen finden sich in der Ausstellung wieder, wo sie durch die Exponate eine sehr viel tiefere Dimension bekommen. Der Aufruf des Museums, persönliche Erinnerungsstücke beizusteuern, stieß auf erhebliche Resonanz. Dadurch wechselt die Perspektive ins Innere der jüdischen Gemeinschaft.
Der kurze Nachrichtenbeitrag über die niederländische Alija zum Beispiel wird intensiv ergänzt durch einen frisch ausgestellten israelischen Pass, vom Inhaber Jacov Rekens in Hebräisch unterschrieben. Daneben findet sich der in Reimform verfasste Abschiedsbrief des Vaters, den dieser in alter Vertrautheit an «Jaap» richtet.
Andere Ausstellungsstücke künden von den Produkten jüdischer Unternehmer, wie die Kollektion an Oldschool-Reklameschildern des legendären Delikatessenladens Mouwes. Leicht bekleidete Damen preisen darauf dessen Mazzen als Grund ihrer perfekten Figur an. Ein Schwarz-Weiß-Film von 1956 zeigt Barmizwa Loeki, der auf dem nagelneuen Hollandrad eine Runde durchs elterliche Haus dreht. Aus der gleichen Zeit ist auch die Sinterklaas-Feier einer jüdischen Familie dokumentiert.
Unterrichtsbücher jüdischer Schulen erklären «Mijn eerste Alefbeet» oder erzählen, wie «Sammie die Spinne» Rosch Haschana begeht. Baupläne künden von neu errichteten Synagogen, Vertreter von orthodoxen und liberalen Gemeinden berichten über deren Entwicklung. Die Entstehung des niederländischen Zweigs von Chabad Lubawitsch gehört ebenso zur Ausstellung wie die progressive Gemeinde Beit HaChidush.
Flugblatt Auch ausgesprochen politische Themen sind vertreten. Rabbiner Awraham Soetendorp erinnert sich in einem Interviewfragment an die Solidaritätsaktionen mit den sowjetischen Juden, die er 1981 koordinierte.
Ronny Naftaniel, heute Direktor des Dokumentations- und Informationszentrums Israel, erzählt vom Protest gegen die Aufführung des Fassbinder-Theaterstücks «Der Müll, die Stadt und der Tod» in Rotterdam 1987. Davon kündet auch ein gemeinsames Flugblatt aller im Land vertretenen jüdischen Jugendorganisationen mit dem Titel «Alle Cohens an Deck!». Schließlich werden auch umstrittene Themen wie Gleichberechtigung und Homosexualität nicht ausgespart.
Die Ausstellung ist das Ergebnis einer intensiven zweijährigen Arbeit. Chefkuratorin Hetty Berg betont, das Museum habe außergewöhnlich viel Zeit und Geld in die Sonderausstellung investiert. In den Niederlanden, Israel und den USA wurden 100 Interviews geführt. Ebenso wie die zahlreichen Familienfilme prägen sie die Ausstellung.
«Besonders ist aber auch, dass diese Periode, die im Museum bisher unterrepräsentiert war, zeitlich so nah liegt, so dass man eine viel engere Beziehung dazu hat», so Hetty Berg, der man anmerkt, wie viel Freude ihr das Projekt macht. «Daher konnten auch so viele Menschen Material beisteuern.»
Die Ausstellung ist noch bis 8. Mai im Joods Historisch Museum Amsterdam zu sehen. Weitere Informationen unter:
www.jhm.nl/actueel/tentoonstellingen