Italien

In den Gassen von Palermo

Vor mehr als zwei Jahren überließ der Erzbischof von Palermo den Juden der Stadt ein verlassenes Kirchlein, das sie künftig als Synagoge nutzen dürfen.

Das barocke Ex Oratorio di Santa Maria del Sabato ist äußerlich noch immer als Kirche zu erkennen: Glocken und ein Kreuz prangen über der schweren Eingangstür. Im Tordurchgang, der von einer belebten Straße für Metallhandwerk auf sie zu führt, schmücken Kerzen und Palmblätter einen kleinen Jesus-Schrein.

Bethaus Am Schabbat und selbst an Hohen Feiertagen bleibt das Bethaus weiterhin geschlossen, sodass die Festlichkeiten für Rosch Haschana auch in diesem Jahr in der Wohnung von Evelyne Aouate stattfinden mussten. Die Französin ist in vielerlei Hinsicht der Hauptbezugspunkt jüdischen Lebens in der sizilianischen Hauptstadt.

Mit ihren Eltern floh sie vor dem Algerienkrieg nach Paris. Als junge Frau bereiste sie Palermo, verliebte sich und gründete hier eine Familie und ein erfolgreiches Unternehmen, das heute ihre Töchter führen. Lange glaubte sie, die einzige Jüdin in der Stadt zu sein.

LÜCKE Die bleibende Lücke: Als eine der wenigen Großstädte Europas mit immerhin mehr als 660.000 Einwohnern hat Palermo keine Synagoge und keine Gemeinde im rechtlichen Sinn – und das seit über 500 Jahren. Weil Sizilien unter spanischer Herrschaft stand, galt auch hier das sogenannte Alhambra-Edikt, das nach 1492 alle Juden zur Auswanderung oder zur Konversion zwang. In Palermo allein betraf es zwischen 600 und 850 Familien.

Politiker und Kulturbeauftragte betonen das multikulturelle Erbe der Stadt.

Die Synagoge, die als eine der feinsten der Welt galt, wurde abgerissen; das jüdische Viertel, das sich zwischen den alten Stadtmauern und der Via Divisi erstreckte, von Kirchen und Adelspalästen überformt.

MIKWE Ein solcher Aristokratensitz ist auch der Palazzo Marchesi. Bald nach der Vertreibung der Juden wurde er in der Nähe der ehemaligen Synagoge gebaut. Für einige Jahre diente er als Sitz der Spanischen Inquisition. Erbittert ging diese gegen die Bnei Anusim vor, sogenannte Kryptojuden, die als Christen heimlich ihr Judentum weiter praktizierten.

Im Hinterhof des Palastes führt eine steile Treppe hinab in eine Zisterne, die sich verzweigt und linker Hand auf ein Bad zuführt, das von den meisten Forschern als Mikwe identifiziert wird – die neuen Eigentümer nutzten es in den Sommermonaten zur Abkühlung.

»Wir werden sehen und doch nichts sehen«, mahnt die Stadtführerin, die Besucher durch das Viertel geleitet. Von der reichen jüdischen Vergangenheit zeugen nur noch die Straßennamen, die an ihre alten Besitzer erinnern – häufig in Unkenntnis der heutigen Bewohner. Die Alltagssprache der Juden war in Palermo lange das Arabische, was auch erklärt, warum die alte Synagoge »Meschita« hieß: Das Wort leitet sich von »masjid« ab und heißt eigentlich Moschee.

Mittlerweise sind die Straßenschilder im ehemaligen jüdischen Viertel in lateinischen, hebräischen und arabischen Buchstaben beschriftet. Sie demonstrieren, wie drastisch sich die Erinnerungskultur hier in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat: Politiker und Kulturbeauftragte betonen das multikulturelle Erbe der Stadt mit ihren punischen, griechisch-byzantinischen, ara­bisch-islamischen und jüdischen Wurzeln.

unesco Als Ergebnis dieser Bemühungen ist Palermo kürzlich für seine arabisch-normannischen Bauwerke zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt worden und wurde im vergangenen Jahr als Kulturhauptstadt Italiens gefeiert.

Wichtiger Teil dieser Bewegung ist auch Evelyne Aouate, die als Präsidentin des Istituto Siciliano di Studi Ebraici regelmäßig Veranstaltungen zu jüdischen Themen organisiert, die in der Öffentlichkeit auf großes Interesse stoßen.

Bei diesen Treffen haben auch die Juden der Stadt zueinander gefunden. Gemeinsam mit Rabbiner Pinchas Puntarello, dem Abgesandten der israelischen Organisation Shavei Israel für Italien, versammeln sie sich seit einigen Jahren wieder zum offiziellen Lichterzünden an Chanukka – und zwar im Palazzo Chiaramonte, der bis 1782 die Gefängnisse der Inquisition beherbergte.

GEBETSORT Gemeinsam mit dem Rabbiner fragte Evelyne Aouate bei der Erzdiözese nach einem Gebetsort an – mit Erfolg. Stolz verkündete Erzbischof Corrado Lorefice, dass die Kirche endlich den Juden etwas geben könne. Das Ex Oratorio, gelegen im Vicolo della Meschita, schien bestens geeignet für eine solche Geste. Gebunden durch das Kirchenrecht, konnte das Gebäude zunächst aber nur für eine Dauer von zweimal neun Jahren zur unentgeltlichen Nutzung zur Verfügung gestellt werden.

Es leben so wenige Juden in Palermo, dass kein Minjan zustande kommt – das soll sich ändern.

Die Kunde von einer »neuen« Synagoge in Palermo hat die jüdische Gemeinschaft weltweit erreicht und viele Menschen berührt. Geldspenden und liturgische Gaben gingen ein. Doch die Zukunft des neuen Bethauses ist noch nicht gesichert.

»Wir sind wenige«, erklärt Evelyne Aouate, so wenige, dass in Palermo kein Minjan zustande komme. Sie sei aber hoffnungsvoll, dass die neue Synagoge jüdische Zuwanderung anregen oder wenigstens die Abwanderung verhindern werde.

Eine große Rolle spielt auch hier Shavei Israel. Die Organisation unterstützt diejenigen, die sich als Bnei Anusim verstehen, diejenigen, die zum Judentum oder dazu zurückfinden. Einer von ihnen ist Massimiliano. Aufgewachsen als Katholik, trägt er heute Kippa, lernt Hebräisch und möchte nach Israel auswandern, solange es in Palermo keine Institutionen gibt, die ihm ein religiöses Leben in vollem Umfang ermöglichen.

Oft führt er jüdische Touristen durch Ex Oratorio. An diesem Tag erwartet er eine amerikanische Reisegruppe. Viele Besucher würden während ihres Aufenthalts in Palermo gerne zum Gebet gehen, doch befindet sich im Raum bisher nur ein Tisch, auf dem die Entwürfe für den Umbau ausliegen.

FINANZIERUNG Die Baupläne sind da, aber es fehlt noch ein Betrag von etwa 10.000 Euro, um das Vorhaben durchzuführen. Zuschüsse werden weiter gesammelt und sind nötig, bevor die Juden Palermos, der Insel und ihre Besucher einen festen Bezugsort, einen Ort des Gebets und der Gemeinschaft haben werden. Bis dahin bleibt Palermos Kirchen-Synagoge ein Ort der Paradoxien, der Emotionen und der Hoffnung.

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