Mit einem Bagel in der Hand bestieg ich mittags den Paternoster. Hinter mir bemerkte ich einen Schatten. Als ich mich umdrehte, erkannte ich die Person. Es war General Colin Powell höchstpersönlich. »A Bagel!« bemerkte er mit einem breiten Grinsen, und fügte gleich hinzu: »I love Bagels!«
FRANKFURT Daraufhin bot ich ihn den Bagel an. Man konnte den Paternoster langsam hochfahren hören, als er den Bagel anschaute, um ihn mir nach einer langen Sekunde endlich aus der Hand zu nehmen. Er biss einmal rein, schloss die Augen beim genüsslichen Kauen, drückte mir den angebissenen Bagel wieder in die Hand und stieg in aller Ruhe aus dem Paternoster aus.
Es war meine erste Begegnung mit Colin Powell. Sie ist bereits ein halbes Leben her. Er war damals Chef des fünften Armeekorps in Frankfurt, ich arbeitete dort als Übersetzer. Unser Arbeitsplatz war der »Abrams Complex«, das Gebäude mit dem langgezogenen ehemaligen IG-Farben-Haus in der Mitte.
Er kam danach regelmäßig in das Übersetzerbüro – immer mit einem frischen Bagel, den wir dann miteinander teilten. Ich hatte ihm nämlich verraten, wo es die gab: in der Jewish Chapel auf dem Gelände gleich hinter dem »Abrams«. Wir unterhielten uns viel über unsere eigene Geschichte, unsere gemeinsame Heimat New York, aber auch über die Zeichenbretter, an denen die Pläne zum KZ Auschwitz-Monowitz entstanden waren – in eben jenem Gebäude, in dem wir da gerade saßen.
FEIERTAGE Colin Powell war immer dafür bekannt, sich für sein Umfeld zu interessieren. Auch dafür, Berichte direkt beim Verfasser anzuschauen anstatt bei dem jeweiligen Vorgesetzten, der sie in Auftrag gegeben hatte. So kam es, dass er eben auch bei uns Übersetzern öfter mal vorbeischaute, um die Berichte zu besprechen. Das geschah immer mit einem Bagel in der Hand.
Eine Einladung in die Chapel (ich war damals auch in der Militärseelsorge tätig) nahm er gerne an und wurde dort ein gern gesehener Gast. Einmal kam er zu den Hohen Feiertagen, setzte sich eine Kippa auf und nahm ganz hinten Platz. Als die anwesenden Soldaten ihn erkannten, standen sie vor ihm auf. Einer von ihnen berichtete mir, wie er reagiert hat: »Beim Gebet hat man sich nur vor Gott zu erheben«, bemerkte er, und so möge man doch bitte wieder Platz nehmen.
Beim Kiddusch mischte er sich unter die Menschen und spielte mit den Kindern. Als gebürtiger New Yorker waren ihm die jüdischen Feiertage bestens vertraut, und jiddische Ausdrücke gehörten für ihn zum Alltag. Man sah es ihm an, dass er sich in der Chapel wohlfühlte. Auch umgekehrt fühlte man sich in seiner Gegenwart auch wohl.
RATSCHLAG Einmal nahm er mich bei einem Kiddusch beiseite und lobte mich für meine Predigt. Ob ich nicht Rabbiner werden wolle? Übersetzer gäbe es schließlich genug. Dann nahm er ein Bagel, schaute mich beim genüsslichen Kauen freundlich an und salutierte zum Abschied.
Diesen Salut erwidere ich nun traurig. Er war ein Vorbild und ein prima Vorgesetzter. Mehr noch: Ohne ihn wäre ich nicht, was ich heute bin.
Übersetzer gibt es schließlich genug.