Frankreich

»Imam der Juden«

Sorgt sich um seine Sicherheit und die seiner Familie: Imam Hassen Chagloumi Foto: AP

Frankreich

»Imam der Juden«

Hassen Chalghoumi setzt auf Dialog – und wird dafür angefeindet

von Iris Hartl  04.03.2010 00:00 Uhr

Der 38-jährige Tunesier mit dem schüchternen Blick und dem Spitzbärtchen entspricht nicht gerade dem Stereotyp eines Imams. Und auch seine Äußerungen weichen von dem ab, was Moscheebesucher anderswo von ihren Predigern mitunter zu hören bekommen. Hassen Chalghoumi nutzt jede Gelegenheit, um seinen Glaubensbrüdern einzuschärfen, dass sie religiösen Fundamentalismus ablehnen und stattdessen auf Dialog und Toleranz setzen sollen. Die Grenze, wo Toleranz aufhört und Fundamentalismus anfängt, ist allerdings nur subjektiv definierbar.

Als Chalghoumi vor wenigen Wochen einem Gesetzesvorhaben, das das Tragen der Burka in Frankreich verbieten soll, seine Unterstützung zusagte, kam das nicht bei allen gut an. Während für den Imam die Vollverschleierung keine religiöse Pflicht, sondern ein »Instrument sexistischer Unterwerfung und islamistischen Zwangs« ist, pochen seine Gegner auf eben jene Toleranz, die das Gemeindeoberhaupt sonst so lautstark fordert. Salafistisch gekleidete Männer haben bereits mehrfach in der Moschee ihrem Ärger mit Rufen wie »Der Zorn Gottes soll über dich kommen!« Luft gemacht. Auch wurde eine Petition in Umlauf gebracht, die den Rücktritt des Imams verlangt.

Pflicht Es ist nicht das erste Mal, dass Hassen Chalghoumis Haltung bei den konservativeren unter den rund 2.500 Gemeindemitgliedern für Unmut sorgt. Vor allem seine intensiven Kontakte zur jüdischen Dachorganisation Conseil représentatif des institutions juives de France (CRIF) setzen manche einem Verrat gleich. Doch gerade als Vorsteher der muslimischen Gemeinde von Drancy – jener Ort ist vor allem für sein ehemaliges Konzentrationslager bekannt – sieht er es als seine Pflicht an, ein freundschaftliches Verhältnis zur jüdischen Gemeinschaft zu pflegen. So sprach er 2006 im Rahmen einer Gedenkzeremonie in Drancy von dem großen Unrecht, das Juden angetan wurde, »nur weil sie Juden waren«, und von der Aufklärungsarbeit, die auch heute noch geleistet werden müsse, damit Derartiges nie wieder geschehen könne. Am nächsten Tag verwüsteten Unbekannte sein Haus. In den eigenen Reihen nennt man ihn seitdem abfällig »Imam der Juden«.

Angst Auch wenn es bei verbalen Angriffen gegen den jungen Imam geblieben ist, hat er mittlerweile Angst um seine eigene Sicherheit sowie die seiner Familie. Die Berichterstattung der Medien trägt daran gewiss eine Mitschuld, da sie landesweit die Aufmerksamkeit auf seine Person gelenkt hat und jedes Wort, das er in Interviews von sich gibt, inzwischen von Muslimen genauestens verfolgt und abgewogen wird.

Auch islamische Autoritäten in Frankreich wie M’hammed Henniche, der Vorsitzende der Union Muslimischer Vereinigungen, sind nicht immer mit Chalghoumis Haltung einverstanden. Als der Imam vergangenes Jahr Proteste gegen Israels Offensive in Gasa unterbinden wollte, stieß er erstmals auch auf hoher Ebene auf Unverständnis. »Was die Palästinenser-Problematik angeht, steht er der jüdischen Position zu nahe«, kritisierte Henniche Mitte Februar in einem Interview mit der New York Times. »Ich habe keinen Sinn in einem Protestverbot gesehen. Wir wollen eine differenziertere Sichtweise. So etwas bringt ihn nur in Misskredit«, erklärte er weiter.

Neben dem Vorwurf, sich bei Politikern, der »jüdischen Lobby« und den Medien anzubiedern, sagt man Chalghoumi inzwischen religiöse Inkompetenz nach. Er sei gar kein richtiger Imam, heißt es in diversen muslimischen Internetforen. Glaubt man Chalghoumis offizieller Biografie, begann er mit 14 Jahren, sich für seine Religion zu interessieren, und beschloss später, an der Zaituna-Hochschule in Tunis den Islam zu studieren. Nach dem Abschluss reiste er durch Indien, Pakistan und Syrien, wo er sich des Rekrutierungssystems für den Heiligen Krieg bewusst wurde. Daraufhin entschied er sich, nach Frankreich zu gehen, wo er seit 1996 lebt.

Im Laufe seiner Karriere setzte sich der Imam zwei Prioritäten: auf die Probleme der islamischen Gemeinschaft in Frankreich aufmerksam zu machen und zu beweisen, dass ein friedliches Zusammenleben zwischen Muslimen und Juden mög- lich ist.

rassismus Auch wenn er sich vor Kurzem für ein Verbot der Burka ausgesprochen hat, vertritt er die Ansicht, dass die Regierung damit im Grunde nur vom Wesentlichen, nämlich der Diskriminierung von Muslimen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, ablenken will. Der weit verbreitete Rassismus mache gerade junge Muslime, die sich nirgendwo akzeptiert fühlen, empfänglich für radikales religiöses Gedankengut. Dagegen müsse man vorgehen.

Trotz der Tatsache, dass nicht alle Gemeindemitglieder seine Meinung teilen, glaubt Chalghoumi nach wie vor an die Kraft des Dialogs. Während er darauf wartet, dass dieser eines Tages gelingt, lässt er sich von Bodyguards in die Moschee und wieder nach Hause begleiten.

Antisemitismus

Litauen: Chef von Regierungspartei wegen Antisemitismus verurteilt

In Litauen ist der Chef einer Regierungspartei mehrfach durch antisemitische Aussagen aufgefallen. Dafür musste er sich vor Gericht verantworten. Nun haben die Richter ihr Urteil gefällt

 04.12.2025

Ukraine

Alles eine Frage der Herkunft

Wie ein Korruptionsskandal den antisemitischen Narrativen in Russland Vorschub leistet

von Alex Friedman  04.12.2025

Berlin

Prozess um Attentat am Holocaust-Mahnmal fortgesetzt

Das überlebende Opfer, der 31-jährige spanische Tourist Iker M., wollte am Mittwoch persönlich vor dem Kammergericht aussagen

 03.12.2025

Sydney

Jüdische Organisationen prangern »Geißel« Antisemitismus an

Im Fokus steht dieses Mal Australien. Es ist Gastgeber einer Konferenz der internationalen jüdischen Initiative »J7«. Sie stellt Zahlen zu Judenhass auf dem Kontinent vor - und spricht von historischen Höchstständen

von Leticia Witte  02.12.2025

New York

Das sind die Rabbiner in Mamdanis Team

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Mamdani keinen Ortodoxen in seine Übergangsausschüsse berufen – eine Lücke, die bereits im Wahlkampf sichtbar wurde

 02.12.2025

Dänemark

Männer sollen 760.000 Euro für die Hamas gesammelt haben

Am Dienstagmorgen nahm die Polizei einen 28-Jährigen fest. Sein mutmaßlicher Komplize sitzt bereits in U-Haft

 02.12.2025

Italien

Francesca Albanese und ihre »Mahnung« an die Presse

In Turin wurden die Redaktionsräume von »La Stampa« von Demonstranten verwüstet. Die Reaktion der UN-Sonderbeauftragten für die Palästinensergebiete verstörte viele

von Michael Thaidigsmann  02.12.2025

Jüdisches Leben im Libanon

Noch immer hat Beirut eine Synagoge, aber die Gläubigen nehmen ab

Einst war Libanon ihr Zufluchtsort, dann kam der Bürgerkrieg, und viele gingen. Doch nach wie vor gehören Juden zu den 18 anerkannten Religionsgruppen im Libanon - auch wenn nur noch wenige im Land leben

von Andrea Krogmann  02.12.2025

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

Interview

»Meinungsvielfalt gilt es auszuhalten« 

Am 8. Dezember wählt die Gemeindeversammlung der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ein neues Präsidium. Ein Gespräch mit den Kandidaten über Herausforderungen an die Gemeinde, Grabenkämpfe und Visionen

von Nicole Dreyfus  01.12.2025