»Die Gefahr, dass sie Terrorismus anzieht, liegt auf der Hand« – mit diesen Worten warnte der britische Oberhausabgeordnete Lord Alex Carlile vor dem Bau einer geplanten Holocaustgedenkstätte, die mitten in der britischen Hauptstadt, in Victoria Tower Gardens, einem Park neben dem Parlament, errichtet werden soll.
Carliles Meinung hat Gewicht – nicht nur wegen seines politischen Amtes, sondern auch, weil seine Eltern jüdisch-polnischer Herkunft waren.
Mit dem umgerechnet rund 110 Millio-nen Euro teuren Bau der Gedenkstätte beschäftigt sich derzeit ein öffentlicher Untersuchungsausschuss der Londoner Lokalbehörde Westminster.
Widerstand Der vor fünf Jahren von dem damaligen Premier David Cameron angekündigte Plan einer Holocaustgedenkstätte stieß von Anfang an auf Widerstand. Zunächst wurden vor allem Stimmen laut, die den Park an der Themse retten wollen, doch schon bald kamen jene hinzu, die weit über Grünflächen und Stadtästhetik hinausgingen.
Manche glauben, die Gedenkstätte könne den beabsichtigten Zweck, an die Opfer der Schoa zu erinnern und historische Zusammenhänge verständlich zu machen, nicht erfüllen. Das behauptet eine Erklärung von 38 Wissenschaftlern, die fast alle als Expertinnen in Fragen der Schoa gelten, darunter auch zahlreiche jüdische Akademiker.
Bereits vor sechs Jahren hatte die Gruppe den Sinn des Projekts hinterfragt. So befürchtet die Historikerin Hannah Holtschneider von der University of Edinburgh, die Gedenkstätte könnte versuchen, die Geschichte so darzustellen, als wäre die britische Demokratie der alleinige »Erlöser und Retter der jüdischen Menschen gewesen«.
Für Holtschneider ist klar: »Das Böse liegt mit dem Holocaustdenkmal für Briten allein woanders, gerade weil eine gleichwertige Gedenkstätte für die Opfer des Kolonialimus und der Sklaverei fehlt.« Sie und die anderen Unterzeichner der Erkärung glauben, dass zudem eine Gedenkstätte in Westminster nicht genügend Menschen aufklären kann. »Es gibt bereits überall im Land verstreut viele lokale Initiativen und Projekte, die viel näher an Menschen herankommen, sowie eine Daueraustellung über den Holocaust im Imperial War Museum in London«, sagt Holtschneider.
Alternativen Das viele Geld für die geplante Gedenkstätte könnte nach Meinung der Unterzeichnenden viel besser für die Digitalisierung und für Lehrkräfte eingesetzt werden, die zum Thema Holocaust speziell ausgebildet sind. Darüber hinaus könnte man ein akademisches Forschungszentrum errichten, das sich mit Massengewalt und Gräueltaten beschäftigt.
Die jüdische Oberhausabgeordnete Baroness Ruth Deech glaubt sogar, dass die geplante Gedenkstätte »die jüdische Tragödie für politische Zwecke ausnutzt und weder Antisemitismus bekämpfen kann noch damit etwas für die zukünftige britische jüdische Bevölkerung tut«.
Andererseits gibt es nach wie vor durchaus Befürworter des Projekts. Eine von ihnen ist Karen Pollock, Direktorin des Holocaust Education Trusts, einer Organisation, die seit Jahrzehnten Überlebende in britische Schulen schickt, damit sie von der Schoa erzählen. Pollock hält das Projekt für wichtig, um die Stimmen von Überlebenden, neben jenen sechs Millionen Stimmen, die niemals gehört wurden, für die Zukunft zu bewahren.
Befürworter Die Londoner Zeitzeugin Mala Tribich (90), eine Schoa-Überlebende aus Polen, erklärte dem Untersuchungsausschuss, es gebe keinen besseren Ort für eine Gedenkstätte als neben dem Parlament, denn es zeige den Abgeordneten, wohin Apathie, Vorurteile und Hass führten. »Eine natio-nale Gedenksätte im Schatten des Parlaments wird nicht nur Hunderttausende britischer Schüler aufklären, sondern auch unzählige andere.«
Unterstützt wird das Projekt auch von der Regierung Boris Johnson, Labouroppositionsführer Keir Starmer und dem Londoner Bürgermeister Sadiq Khan. Starmer nannte die geplante Gedenkstätte ein Zeichen des Respekts vor den sechs Millionen Toten.
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