Griechenland

Im Gedenken an die Hafenarbeiter

Stolpersteinverlegung in Griechenland Foto: Marianthi Milona

Griechenland

Im Gedenken an die Hafenarbeiter

In Thessaloniki wurden symbolisch Stolpersteine verlegt – für die mehr als 50.000 ermordeten Juden der Stadt

von Marianthi Milona  27.03.2017 18:28 Uhr

Es ist nicht so, dass man rein zufällig über sie stolpern würde. Im Hafengelände von Thessaloniki muss man links an der Kinemathek vorbei in Richtung Museum für zeitgenössische Kunst gehen, um sie im Boden zu entdecken: sechs bronzene Stolpersteine – zum Gedenken an Tausende. Bis zum Holocaust war der reguläre Betrieb des Hafens ohne jüdische Arbeiter und Angestellte undenkbar. Viele der rund 53.000 Gemeindemitglieder hatten beruflich mit dem Hafen zu tun.

Einige Wochen ist es her, da luden die jüdische Gemeinde Thessaloniki, die Stadtverwaltung und die Heinrich-Böll-Stiftung zur Stolpersteinverlegung in den Hafen. Für die Organisatoren war es eine Aktion mit Hindernissen. Bis heute ist nicht geklärt, ob weitere Stolpersteine folgen werden. Der Stadtrat hatte die Verlegung im öffentlichen Raum zunächst abgelehnt, und das, obwohl es im vergangenen Jahr bereits eine ähnliche Initiative im Hof eines Gymnasiums gegeben hatte: zur Erinnerung an die mehr als 140 jüdischen Schüler, die dort vor der Schoa zur Schule gingen.

Widerstand Wäre es nach Bürgermeister Giannis Boutaris gegangen, hätte sich das Stolpersteinprojekt in seiner Stadt auf vielen Plätzen ausgebreitet. Doch er bekam den Widerstand im Stadtrat zu spüren. So blieb am Ende nur die Heinrich-Böll-Stiftung in Thessaloniki, die einen öffentlichen Raum im Hafengelände fand. Dieser gehört der Hafengesellschaft.

»Unsere Eltern schärften uns ein, wir sollten nie sagen, dass wir Juden sind. Nachdem sie das Konzentrationslager überlebt hatten, fürchteten sie sich noch lange vor Antisemitismus und Gewalt«, erinnert sich Alberto Sevi. »70 Jahre danach haben unsere nichtjüdischen Mitbürger endlich angefangen, uns nach unserer Herkunft zu fragen. Auch ihnen hat man die Geschichte Thessalonikis nie richtig erzählt.«

Die Stolpersteinverlegung ist für den Thessaloniker Juden von größter Bedeutung. Und doch bringt er sogar für die Reaktion des Stadtrats Verständnis auf. »Wie soll die Stadt es schaffen, mehr als 50.000 Stolpersteine zu verlegen?« So viele müssten es nämlich sein. Es gebe keine einzige Straße in der Stadt, wo vor dem Einmarsch der Deutschen keine Juden gelebt haben.«

geste Für Alberto Sevi ist die Verlegung der Stolpersteine im Hafen eine symbolische Geste, die an alle Juden Thessalonikis erinnert. »Es kommt auf das Gedenken an, nicht auf die Anzahl der Steine. Ob sechs oder 60.000 – das macht für mich keinen Unterschied.« Der eigentliche Erfolg sei, dass es in Thessaloniki überhaupt möglich war, meinen heute die meisten der knapp 1000 Gemeindemitglieder.

Das Gedenken an ihre Vorfahren und an das alte Thessaloniki ist ihnen das Wichtigste. Die Lieder, die bei der Stolpersteinverlegung gesungen wurden, rufen alte Erinnerungen in ihnen wach, aus einer Zeit vor 1943, als Thessaloniki eine durch und durch jüdische Stadt war.

Fünf glänzende Messingtäfelchen mit jeweils dem Namen eines jüdischen Hafenarbeiters und darüber ein etwas größerer länglicher Stein zum Gedenken an alle ermordeten Hafenarbeiter ist eine ungewöhnliche Konzeption, weil die exakte Zahl nicht bekannt ist. Auch steht auf den Steinen nicht, wie sonst üblich, »Hier lebte«, sondern »Hier arbeitete«, »wurde geboren« oder »wurde festgenommen im Jahr 1943 und in Auschwitz ermordet«.

»Diese Menschen sind verloren gegangen, sie wurden zu Rauch. Es gibt kein Grab für sie, es gibt gar nichts«, sagte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Griechenlands, David Saltiel, bei der Stolpersteinverlegung.

Nachholbedarf Die Gemeindemitglieder wissen, dass es in puncto jüdischer Geschichte in ihrer Heimatstadt viel nachzuholen gibt. Wenn Levi Benuzilio, einer von ihnen, heute von Bekannten und Nachbarn wegen seines Namens gefragt wird, wie lange er schon in Thessaloniki lebt, dann sagt er: »Seit über 500 Jahren«. Jedes Mal, wenn er seinen Namen ausspreche, sei das ein Bekenntnis zu seinen Eltern und zu seiner Herkunft. »Hinter meinem Namen verbirgt sich eine von unzähligen und unbekannten Geschichten meiner Geburtsstadt Thessaloniki.«

Vergangene Woche hat das Parlament in Athen ein Gesetz verabschiedet, nach dem sich ausländische Nachkommen von Schoa-Überlebenden um die griechische Staatsbürgerschaft bewerben dürfen. Für David Saltiel, den Gemeindechef, ist dies »ein moralischer Sieg« und »ein weiterer Schritt zur Anerkennung der Geschichte des Holocausts und der griechischen Juden«.

Bereits 2011 hatte die griechische Regierung eine Gesetzesänderung für Einwohner aus dem Ausland genehmigt. Damit erhielten Juden, die vor 1945 geboren wurden, automatisch die griechische Staatsbürgerschaft. Betroffen waren etwa 300. Von der neuen Regelung könnten nun vor allem ihre Kinder und Enkel profitieren – die meisten von ihnen leben in Israel.

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