Schweiz

Im Gedenken an abgewiesene Flüchtlinge

Ein Verein verlegt nordöstlich von Basel am Grenzübergang zu Deutschland eine sogenannte Stolperschwelle

von Peter Bollag  10.11.2021 12:02 Uhr

Erinnert an Hunderte, wenn nicht gar Tausende abgewiesene Flüchtlinge: »Stolperschwelle« Foto: Peter Bollag

Ein Verein verlegt nordöstlich von Basel am Grenzübergang zu Deutschland eine sogenannte Stolperschwelle

von Peter Bollag  10.11.2021 12:02 Uhr

Am schweizerisch-deutschen Grenzüber­gang Riehen–Lörrach hat sich am Dienstag am Rande des morgendlichen Berufsverkehrs eine Gruppe von etwa 30 Personen versammelt. Vor ihnen tut sich eine vertikale Einlassung im Boden auf, daneben liegen ein paar rote Rosen. An diesem eher unspektakulären Ort beginnt die ganztägige Zeremonie, mit der der Verein Stolpersteine Schweiz nach einem Anfang in Zürich im vergangenen Jahr nun auch in Basel Stolpersteine verlegt.

Hier an der Grenze aber wird nicht ein einzelner Stolperstein verlegt, sondern eine sogenannte Stolperschwelle. Es soll damit daran erinnert werden, dass an diesem Ort zwischen 1933 und 1945 nicht nur ein einzelner Mensch abgewiesen wurde, sondern Hunderte, wenn nicht gar Tausende Menschen.

ZOLLBEAMTE Bei der Zeremonie wird vor allem auch eines Ereignisses gedacht, das bisher wenig bekannt war: »Am 23. November 1938 wurden an dieser Stelle 13 jüdische Flüchtlinge, die nach den Schrecken der Pogromnacht in der Schweiz Zuflucht suchten, von Schweizer Zollbeamten abgewiesen«, erzählt der Historiker Gabriel Heim, Mitglied der Lokalgruppe Basel des Vereins Stolpersteine Schweiz. Einige dieser 13 Menschen hätten sich geweigert, zurückzugehen und seien deshalb über die Grenze nach Deutschland getragen worden, so Heim.

Obwohl der Grenzkanton Basel mit einer linksdominierten Regierung damals deutlich humaner agierte, als die Berner Behörden es wünschten, kam es auch hier zu solchen dramatischen Szenen. Zwar ist bis heute nicht bekannt, wie viele Menschen an den Schweizer Grenzen zwischen 1933 und 1945 wirklich zurückgewiesen worden sind, doch gibt es die gesicherte Zahl von 30.000 vor allem jüdischen Asylsuchenden, denen die Einreise verweigert wurde.

An vier deportierte Personen erinnern in Basel Stolpersteine, die ebenfalls am Dienstag in den Boden eingelassen wurden. Diese vier Einzelschicksale spiegeln die zum Teil unmenschliche Haltung der Schweizer Behörden wider – eine Haltung, die darin bestand, im Umgang mit Geflüchteten, aber auch mit Menschen, die hier lebten und nicht über einen Schweizer Pass verfügten, restriktiv vorzugehen.

Ein Beispiel dafür ist der in Frankreich gebürtige Gaston Dreher, der mit seinen Eltern als Kind nach Basel kam, hier aufwuchs und auch Schweizerdeutsch sprach. Die Behörden bezeichneten ihn als »asozial«, er hatte keinen Beruf und beging immer wieder kleinere Diebstähle. Er wurde deshalb 1931 nach Frankreich ausgewiesen. Doch nach der Besetzung durch Nazideutschland gelingt ihm 1943 die Flucht zurück in die Schweiz. Sein Vorstrafenregister und sein fehlender Schweizer Pass werden ihm jedoch zum Verhängnis: Die Behörden in Basel übergeben ihn Ende 1943 den Deutschen. Kurz darauf wird er nach Auschwitz-Birkenau deportiert und 1944 in den Gaskammern ermordet.

NEUTRALITÄT »Geschichte bricht nicht über uns herein, sondern sie ist etwas, das wir mitgestalten – und mitverantworten«, sagte am Dienstagabend bei der zentralen Gedenkzeremonie die Schriftstellerin Ruth Schweikert, Vizepräsidentin des Vereins Stolpersteine Schweiz.

Beat Jans, der Basler Regierungspräsident, erinnerte bei der Gedenkveranstaltung auch an die Ermordung von Basler Juden im Mittelalter, schlug den Bogen zu den Deportationen während der Nazizeit und sagte: »Ich bedaure zutiefst, dass sich dieser Teil der Basler Geschichte leider nicht von vielen anderen Städten Europas unterscheidet – der Schweizer Neutralität zum Trotz.«

Irak

Bericht: Israelisch-russische Geisel Elizabeth Tsurkov möglicherweise im Iran

Nachdem die USA im Fall der entführten Elizabeth Tsurkov den Druck auf den Irak erhöhen, heißt es, die Geisel wurde in den Iran verschleppt

 12.03.2025

Belgien

Fantasien über Mord an Juden fallen unter die Meinungsfreiheit

Entsetzen in der jüdischen Gemeinschaft: Ein Kolumnist wurde vom Vorwurf der Aufstachelung zur Gewalt gegen Juden freigesprochen

von Michael Thaidigsmann  12.03.2025

Österreich

Zwei Wochen lang »Shalom Oida«

Das Jüdische Filmfestival in Wien präsentiert die Realität jüdischen Lebens – von Antisemitismus bis Schidduch

von Stefan Schocher  11.03.2025

Frankreich

»Mach hier nicht auf Jude«

Eine Umfrage unter 2000 Jugendlichen zeigt, wie sich antisemitische Vorurteile auch an französischen Schulen ausbreiten

von Michael Thaidigsmann  10.03.2025

Porträt

Der Iberzetser

Dass Russen heute noch Einblick in die jiddische Literatur erhalten, ist vor allem Walerij Dymschiz zu verdanken. Ein Treffen mit dem Sprachmittler in seiner Stammkneipe in St. Petersburg

von Polina Kantor  09.03.2025

Großbritannien

Auf der Couch bei Ms. Freud

Sie ist die Urenkelin des prominentesten Psychologen der Welt. In ihrem Video-Podcast »Fashion Neurosis« stellt Bella Freud die Fragen

von Nicole Dreyfus  08.03.2025

Dokumentation

»Mein Name ist Gal. Und ich bin Jüdin«

Die israelische Schauspielerin Gal Gadot erhielt den International Leadership Award der ADL. Ihre Dankesrede fällt kämpferisch aus

 07.03.2025

Madrid

Polizei fahndet nach Mann mit »Neonazi-Ästhetik«

Im Fall des vereitelten Brandanschlags auf die Pizzeria Rimmon Kosher in Madrid wurde bislang noch kein Verdächtiger verhaftet

 07.03.2025

Jesse Eisenberg

Erst gab es einen Oscar, jetzt die polnische Staatsbürgerschaft

In seinem Film »A Real Pain« nehmen zwei Cousins auf den Spuren ihrer Großmutter an einer Holocaust-Gedenktour in Polen teil

 06.03.2025