Es kommt nicht oft vor, dass türkische Zeitungen Selbstkritik üben oder andere für gute Berichterstattung loben. Dass unlängst ein Autor des Massenblatts »Sabah« in seiner Kolumne auf »Salom« hinwies, ist deshalb bemerkenswert. Über den israelischen Militärangriff auf die türkische Gazaflottille im Mai 2010 habe er sich erst von Salom richtig informiert gefühlt, schrieb der Kolumnist. Und er empfahl seinen Lesern die Zeitung, die ihm zufällig in die Hände gefallen sei.
Obwohl Salom weitgehend unbekannt ist, auch weil sie am Kiosk nicht verkauft wird, bleibt die Wochenzeitung in der Türkei doch nicht unbeachtet. Denn das Blatt wendet sich an die jüdische Gemeinschaft und somit an eine Minderheit, die immer wieder Anfeindungen ausgesetzt ist – zuletzt nach den Vorfällen um die »Mavi Marmara«. Die Redaktion legt daher besondere Sorgfalt auf eine objektive Berichterstattung, um sich ja nicht dem Vorwurf auszusetzen, Partei für Israel zu er- greifen.
Bei Nachrichten aus dem Ausland ist der Blick oft auf Israel gerichtet, »auch weil viele unserer Leser Familienangehörige haben, die dorthin ausgewandert sind«, sagt Redaktionsleiterin Virna Banastey Gümüsgerdan (32). Auf jüdische Kultur im In- und Ausland konzentriere sich das Feuilleton, ein Teil der 24 Seiten enthält Berichte über Feste der jüdischen Gemeinschaft und Wohltätigkeitsfeiern jüdischer Organisationen sowie Nachrufe auf bedeutende jüdische Bürger in der Türkei.
So wurde vor einigen Wochen ein im Alter von 94 Jahren verstorbener Architekt gewürdigt, der im Auftrag von Republikgründer Atatürk den ersten Flächennutzungsplan für Istanbul erstellt hatte.
Themen »Wir konzentrieren uns auf all die Themen, die für die jüdische Bevölkerung in der Türkei interessant sind und in den gängigen Medien nicht auftauchen«, sagt Gümüsgerdan. Aufgemacht wird mit Berichten wie etwa darüber, dass ein aus der Türkei nach Israel ausgewandertes Ehepaar in seinem Geburtsort für 1,5 Millionen Euro eine Schule bauen ließ. »Die Zeitung möchte die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Beiträge jüdischer Bürger in der Türkei verdeutlichen«, sagt die Redaktionsleiterin.
Als Nachfahren sefardischer Juden, die vor mehr als 500 Jahren aus Spanien flüchteten und im Osmanischen Reich aufgenommen wurden, gelten türkische Juden vielen im Land noch immer als Fremde. Sie müssen sich gegen Vorurteile und antisemitische Anfeindungen behaupten, die auch von den Massenmedien geschürt werden, zum Beispiel über Filme wie Tal der Wölfe.
Ladino Gegründet wurde Salom 1947 von einem jüdischen Geschäftsmann in Istanbul. Jahrzehntelang erschien das Blatt auf Ladino, seit 1984 größtenteils auf Türkisch, denn nur noch wenige beherrschen die Sprache der Vorfahren. »Unsere Kultur und Sprache versuchen wir aber weiterhin zu pflegen«, sagt Gümüsgerdan und weist auf die monatliche Beilage auf Ladino hin.
Die meisten Autoren, die für Salom schreiben, verzichten auf ein Honorar. Das Blatt finanziert sich über Anzeigen. Fest angestellt sind in Redaktion, Verwaltung und Vertrieb gerade mal zwölf Mitarbeiter. Von den rund 5.000 Exemplaren werden 95 Prozent im Abonnement bezogen.
Wer Salom regelmäßig liest, weiß, wer in der Gemeinde ein Kind bekommen oder heiratet hat, oder wer gestorben ist. Auf eine Geburt kommen im Durchschnitt zehn Todesfälle. Heute leben in der Türkei kaum mehr als 20.000 Juden. »Unsere Gemeinde schrumpft stetig«, stellt Gümüsgerdan nüchtern fest, »auch weil viele auswandern.« Kontakt zu ihrem Herkunftland pflegen viele von ihnen auch über Salom. Manche haben die Zeitung abonniert, andere lesen sie im Internet.
www.salom.com.tr