Olympia

Im Bann der fünf Ringe

Legen sich ins Zeug: Israels Windsurfer Foto: imago

Olympia

Im Bann der fünf Ringe

Sport, Gebete und Gedenken: Das jüdische London und die Sommerspiele

von Miriam Shaviv  06.08.2012 19:54 Uhr

Olympia reißt sie mit. In den vergangenen beiden Wochen haben viele Juden in London sowohl persönlich als auch in ihren Gemeinden großes Engagement an den Tag gelegt. An den olympischen Stätten gibt es Hunderte von jüdischen ehrenamtlichen Helfern wie den pensionierten Journalisten Phil Ravitz, der dafür sorgt, dass die Bogenschützen nach ihrem Wettbewerb sicher zum Pressebereich gelangen, oder die Privattrainerin Anne Iarchy, die den Ablauf der Radsportveranstaltungen überwacht.

Seelsorge Jüdische Präsenz ist am augenfälligsten in Gestalt der rund ein Dutzend jüdischen »Chaplains« aller Strömungen. Sie sind Teil eines Teams von 190 Geistlichen aller Religionen, die Athleten, Medien, ehrenamtliche Helfer und Mitarbeiter seelsorgerisch betreuen.

»Es gibt viel zu tun«, sagt Alex Goldberg, einer der orthodoxen Chaplains. »Man trifft Menschen, die weit weg von zu Hause sind, andere, die sich von Krankheiten erholen und glücklich sind, hier dabei sein zu dürfen. Einige fühlen sich in den riesigen Gebäuden isoliert, andere brauchen einfach mal eine Pause.«

Goldberg bietet Menschen aller Religionen Hilfe an. »Ich habe aber bestimmt rund 100 Juden getroffen«, sagt er. »Auch wenn sie nicht religiös sind, haben sie sich gefreut, einen jüdischen Seelsorger zu sehen; sie sprechen mich an und stellen sich vor. Ich war an den vergangenen zwei Schabbatot hier, und eine Menge jüdischer Leute kam nach den Gebeten zu Kaffee und Kuchen.«

Kaschrut Den Olympiapark mit koscherem Essen zu versorgen, ist allerdings eine komplizierte Angelegenheit. David Colman, Geschäftsführer von Hermolis, dem Lieferanten für koschere Lebensmittel, sagt, seine Firma liefere Mahlzeiten für 25 nichtisraelische Athleten, die die Kaschrut einhalten. Hinzu kämen 1.000 Mahlzeiten für Journalisten sowie weitere 1.000 für Ehrenamtliche und Mitarbeiter. Darüber hinaus verkaufen einige der Händler auf dem Olympiagelände koschere Sandwichs und warme Mahlzeiten an Besucher.

Doch aufgrund der Regeln für olympisches Sponsoring ist es nicht erlaubt, dass Läden für koschere Lebensmittel werben. »Wir wissen nicht, wo unser Essen verkauft wird«, sagt Colman, »die Situation ist irgendwie verrückt. Wenn Besucher in ein Café gehen und nach koscherem Essen fragen, kann man nur hoffen, dass sie es bekommen oder dass man ihnen sagt, wo es verkauft wird.«

In der ganzen Stadt scheint sich im Zuge von Olympia die Zahl von Touristen, die jüdische Orte besuchen, erhöht zu haben. »Unser Publikum ist in der Tat viel internationaler, und das ist fantastisch«, sagt Janice Lopatkin, die im Jüdischen Museum in London für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. »Viele Menschen kommen mit ihrem olympischen Pass zu uns, und Journalisten aus Singapur und Hongkong haben in einem Artikel über uns geschrieben.«

Ausstellung Auch in einigen Olympia-Reiseführern wird das Museum genannt. Viele Besucher, fügt Lopatkin hinzu, zeigten sich interessiert an der Ausstellung über den aus Schlesien stammenden Chirurgen Ludwig Guttmann (1899–1980), den geistigen Vater und Gründer der Paralympischen Spiele.

Rund 3.000 Menschen haben im Juli die Website des Jewish Committee for the London Games (JCLG) besucht. Dort finden sich die wichtigsten Anziehungspunkte und Einrichtungen der jüdischen Gemeinde sowie ein Zeitplan für Veranstaltungen im Rahmen der Olympischen Spiele.

»Wir wurden von Hunderten Anfragen überschwemmt, die meisten Leute wollten etwas über die koschere Versorgung des Olympiaparks wissen«, sagt Peter Mason, Geschäftsführer des London Jewish Forum, Partner im JCLG.

synagogen Viele Gemeinden luden an den vergangenen beiden Schabbatot zu einem speziellen Olympia-Kiddusch ein, wie die Woodford Liberal Synagoge in der Nähe der Sportstätten. Die Gemeindemitglieder sagten ein von ihrem Rabbiner eigens für Olympia formuliertes Gebet, in dem sie um »friedliche und gesunde Spiele« baten.

Andere Synagogen mussten sich mit Störungen herumschlagen, die durch die Spiele verursacht wurden. So war der Zugang zur Westminster-Synagoge vorübergehend beinahe unmöglich, weil im gegenüberliegenden Hyde Park große Bildschirme für die Übertragung der Wettkämpfe aufgestellt waren und auch Konzerte stattfanden.

Doch die Gemeindemitglieder wussten sich zu helfen und besuchten am Schabbat verschiedene, über die ganze Stadt verstreute Synagogen. »Wir haben neue Freundschaften geschlossen und erfahren, wie andere den Gottesdienst gestalten«, sagt der Rabbiner der Westminister-Synagoge, Thomas Salamon. Etliche Ideen will er demnächst aufgreifen.

Terror Großbritanniens orthodoxer Oberrabbiner Jonathan Sacks hatte ein Gebet zum Gedenken an die elf israelischen Sportler verfasst, die vor 40 Jahren während der Olympischen Spiele in München ermordet wurden. In vielen Gemeinden wurden Sacks’ Worte gesprochen.

Der britische Premierminister David Cameron rief in einer Feierstunde am Montag die Welt auf, »innezuhalten und der elf israelischen Opfer zu gedenken«. Das Attentat von 1972 sei ein »entsetzlicher Akt des Bösen« gewesen, »ein Verbrechen gegen das jüdische Volk, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein Verbrechen, das die Welt niemals vergessen darf«. Cameron betonte, dass die Ermordeten »nichts mehr und nichts weniger getan hätten, als ihr Land im Sport zu vertreten«.

Die Gedenkfeier wurde vom israelischen Nationalen Olympischen Komitee, dem Jewish Committee for the London Games und der israelischen Botschaft in London organisiert. Unter den Teilnehmern waren auch Ankie Spitzer und Ilana Romano, die Witwen von zwei der ermordeten Israelis, sowie Jacques Rogge. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hatte es trotz Forderungen aus der Politik und von Angehörigen sowie einer Intervention von US-Präsident Barack Obama abgelehnt, der München-Opfer bei der Eröffnungsfeier am 27. Juli mit einer Schweigeminute zu gedenken.

An der Feierstunde am Montag nahmen auch britische und israelische Minister sowie Bundesaußenminister Guido Westerwelle teil. »Deutschland steht weiter an Israels Seite«, sagte er. Die israelische Kultur- und Sportministerin Limor Livnat betonte: »Die Ermordung unserer Athleten durch palästinensische Terroristen hat sich für immer in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt.«

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