Interview

»Ich unterstütze die Protestbewegung«

Alexander Friedman Foto: privat

Herr Friedman, Sie haben zur Staatspropaganda über die Proteste gegen die gefälschte Präsidentschaftswahl in Belarus recherchiert. Worauf sind Sie gestoßen?
Ich verfolge seit August pro-staatliche Telegram-Kanäle und Facebook-Seiten sowie staatliche Presse und Fernsehen. Dabei habe ich entdeckt, dass bewusst mit antisemitischen Stereotypen gearbeitet wird. Man betont, dass unter denen, die mit der demokratischen Bewegung sympathisieren oder hinter ihr stehen, etliche jüdisch seien. In diesem Kontext werden Namen wie George Soros oder Bernard-Henri Lévy genannt. Zudem wird betont, dass viele unabhängige Journalisten in Belarus Juden seien und wichtige Protagonisten der Demokratiebewegung einen israelischen Pass hätten.

Was bezweckt diese Propaganda?
Man will die belarussische Revolution als von außen inspirierte Bewegung darstellen, hinter der unter anderem Juden stehen.

Gibt es historische Vorbilder für diese Kampagne?
Antisemitisch gesinnte Autoren der staatlichen Propaganda knüpfen an tradierte Muster des sowjetischen Antizionismus an. Zudem sehe ich gewisse Gemeinsamkeiten mit der antisemitischen Kampagne in Polen 1968 und der im Zusammenhang mit dem Prager Frühling.

Spielt dabei auch die Schoa eine Rolle?
Der Holocaust wird von der Staatspropaganda im Kampf gegen die weiß-rot-weiße Fahne der Demokratiebewegung bewusst instrumentalisiert. Im Zweiten Weltkrieg verwendeten belarussische Kollaborateure diese Nationalfahne. Nun versucht das Regime, sie als Fahne hinzustellen, unter der die nationalsozialistischen Besatzer und die Kollaborateure die jüdische Bevölkerung umgebracht haben.

Verfängt die Staatspropaganda in der Bevölkerung?
Die antisemitisch konnotierte Propaganda kommt bei den meisten Belarussen nicht an. Sie entspricht überhaupt nicht ihren Weltvorstellungen. Jüdische Themen spielen in Belarus inzwischen nur eine marginale Rolle. Die jüdische Gemeinschaft ist klein, die meisten sind ausgewandert. Im öffentlichen Leben sind Juden kaum präsent. Für die Mehrheit der nichtjüdischen Belarussen ist es inzwischen eine Normalität, ohne Juden zu leben.

Äußern sich die jüdischen Gemeinden und Organisationen im Land zur aktuellen Lage?
Das tun sie bewusst nicht. Sie betonen, dass sie eine neutrale Position haben. Das ist nicht überraschend unter den Umständen dieser neostalinistischen Diktatur. Gerade die Vertreter von Gemeindeinstitutionen wissen: Sollte Lukaschenko an der Macht bleiben, dann müssten sie mit ernsthaften Konsequenzen rechnen. In den jüdischen Institutionen herrscht eine Atmosphäre der Angst. Man will lieber gar nichts sagen.

Wie steht es um die Gemeindemitglieder?
Die jüdische Gemeinschaft ist genauso gespalten wie die Mehrheitsgesellschaft. Es gibt nicht wenige junge Juden, die sich aktiv an den Protesten beteiligen. Es gibt ältere Menschen, die eher zurückhaltend sind. Aber es gibt auch einige Anhänger von Lukaschenko.

Wie engagiert sich die belarussisch-jüdische Diaspora?
Ich kenne nicht wenige in Deutschland, die nicht nur mit den Protesten sympathisieren, sondern auch aktiv an Spendenaktionen oder Solidaritätskundgebungen teilnehmen. In Israel gibt es eine sehr aktive Bewegung. Es wird dort sehr intensiv gegen das Lukaschenko-Regime protestiert.

Sie sind in Belarus geboren und aufgewachsen. Wie blicken Sie persönlich auf die Proteste?
Es ist für mich als Historiker und als belarussischer Jude ein ganz wichtiges Ereignis. Ich unterstütze die Protestbewegung. Ich wünsche, dass Belarus ein freier und demokratischer Staat wird und diese grausame Diktatur verschwindet.

Mit dem Historiker sprach Eugen El.

Kalifornien

»Es ist okay, nicht okay zu sein«

Wie die jüdische Gemeinschaft in Los Angeles mit den verheerenden Bränden umgeht – ein Zeugenbericht

von Jessica Donath  13.01.2025

Essay

Ritt ins Verderben

Gedanken eines österreichischen Juden zu einer möglichen Kanzlerschaft des Rechtsextremisten Herbert Kickl

von Vladimir Vertlib  12.01.2025 Aktualisiert

Frankreich

Zuflucht vor Mobbing

Weil die Zahl antisemitischer Vorfälle dramatisch steigt, nehmen immer mehr jüdische Eltern ihre Kinder von öffentlichen Schulen und schicken sie auf private. Eine Erkundung in Paris

von Florian Kappelsberger  12.01.2025

Polen

Duda würde Netanjahu nicht verhaften lassen

Am 27. Januar jährt sich die Befreiung von Auschwitz zum 80. Mal. Kommt der israelische Ministerpräsident trotz eines Haftbefehls gegen ihn?

 09.01.2025

Kalifornien

Synagoge fällt Feuern von Los Angeles zum Opfer

Die riesigen Brände gefährden auch jüdische Einrichtungen

 08.01.2025

USA

Welcome to Jiddishland

Nirgendwo sprechen so viele Menschen Jiddisch wie in New York. Und es werden immer mehr. Die Mameloschen hat die Grenzen der chassidischen Communitys längst überschritten

von Jörn Pissowotzki  08.01.2025

Social Media

Elon Musk hetzt wieder gegen George Soros

Der Berater des designierten US-Präsidenten Donald Trump bedient sich dabei erneut der Figur des Magneto aus dem Marvel-Universum

von Ralf Balke  08.01.2025

Interview

»Die FPÖ gilt als Prototyp des Rechtspopulismus«

Demokratieforscher Simon Franzmann über den Rechtsruck in Österreich

von Michael Grau und Daniel Behrendt  08.01.2025

Meinung

Der Neofaschist Herbert Kickl ist eine Gefahr für Österreich

In der FPÖ jagt ein antisemitischer »Einzelfall« den anderen, ihr Obmann will die liberale Demokratie abschaffen und könnte schon bald Kanzler sein

von Bini Guttmann  08.01.2025