Er habe immer einen Witz parat gehabt. So erinnern sich Freunde und Kollegen an Simon Wiesenthal, dessen Bild in der Öffentlichkeit ein ganz anderes war: ein Holocaustüberlebender, der nach dem Zweiten Weltkrieg unerbittlich Nazis zur Strecke brachte – und das quasi im Alleingang. Fast 60 Jahre lang, bis er über 90 Jahre alt war. Der sagte, dass es ihm nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit gehe.
Die humorvolle, kaum bekannte Seite der Legende entdeckte der Amerikaner Tom Dugan, als er an seinem Ein-Mann-Stück »Wiesenthal« arbeitete, das derzeit erstmals in London zu sehen ist. Ein Nachruf auf Wiesenthal sei es gewesen, der den Schauspieler und Dramatiker inspiriert habe, diesen auf der Bühne zu würdigen.
Nicht in Deutschland zu sehen
Da Dugan in Kalifornien lebt, feierte das Drama 2009 am Torrance Cultural Arts Center nahe Los Angeles Premiere. Es überrascht, dass es bisher nicht in Deutschland und nur kurz in Österreich zu sehen war, obwohl der 1908 in Galizien geborene Wiesenthal nach Kriegsende erst aus Linz und dann aus Wien agierte und enge Verbindungen zu Deutschland hielt. Während es in den USA und Kanada vielfach zu sehen war, gab es diesseits des Atlantiks nur noch Inszenierungen in Spanien und Israel.
Der Einakter ist eine Begegnung mit einem Mann, der in seinem kleinen Büro einer Besuchergruppe, für die das Publikum steht, ungezwungen von seinem Leben und seiner Arbeit berichtet. Es ist die »letzte« Gruppe, denn alle Dokumente sollen am nächsten Tag ins Simon-Wiesenthal-Center nach Los Angeles verschifft werden. Er ist inzwischen 95 Jahre alt, und seine Frau möchte, dass er in den Ruhestand geht.
Fantastischer Sinn für Humor
Die Zuschauer erfahren, wie Wiesenthal einst den SS-Mann ausfindig machte, der Anne Frank verhaftete, und sehen dann, wie Wiesenthal durch Telefonate und kleine Tricks versucht, Alois Brunner, Adolf Eichmanns rechte Hand, in Syrien zu lokalisieren. Die Live-Recherche gibt dem Drama einen zusätzlichen Spannungsbogen.
»Er hatte einen fantastischen Sinn für Humor, und er verstand, dass der Holocaust ein schwieriges Thema war. Aber aus seiner Zeit als Amateur-Stand-up-Comedian vor dem Krieg wusste er auch, die Aufmerksamkeit eines Publikums zu halten«, sagt Dugan. »Er mischte Humor und Charme mit den harten Lehren, die er vermitteln wollte.« Das fließe auch ins Stück ein, das Wiesenthals Anliegen weiterträgt, nicht eine ganze Nation zu verdammen, sondern Individuen für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen.
Wiesenthals Unbeirrbarkeit
Dugan steht oft selbst als Wiesenthal auf der Bühne, in London ist es Christopher C. Gibbs. Der hatte 2020 eine eigene Produktion in New Jersey inszeniert, die im vergangenen Jahr auch beim Edinburgh Fringe Festival zu sehen war, was zum Gastspiel in London führte.
»Mich hat Wiesenthals Unbeirrbarkeit beeindruckt«, fährt Dugan fort. »Heute wird er als Held gefeiert, aber 30 Jahre lang galt er als Verrückter. Die Leute machten sich lustig über ihn. Aber er gab nicht auf.«
Tatsächlich gilt Wiesenthals Arbeit manchen als kontrovers, die sagen, er habe seine Leistungen größer dargestellt als sie waren. Nichtsdestotrotz ist »der Nazijäger« ein Mann, der aus eigener Kraft dazu beigetragen hat, dass die monströse Vergangenheit nicht unter den Teppich gekehrt werden konnte. Dugans Stück bringt auch einer jüngeren Generation unterhaltsam einen Menschen nahe, der die Nachkriegszeit auf seine Weise prägte und entschlossen gegen das Vergessen kämpfte.
»Wiesenthal« ist noch bis zum 15. September am King’s Head Theatre in London zu sehen.