Brüssel, ein drolliges Städtchen, wo außer Englisch und Arabisch vor allem Französisch und Niederländisch gesprochen wird, soll ein Brennpunkt jüdischen Interesses sein? Die großen Organisationen der jüdischen Interessenvertretung sagen »ja« und sind vor Ort präsent.
Maram Stern, der einst in Berlin zur Schule ging und jetzt das Brüsseler Büro des Jüdischen Weltkongresses leitet, blickt auf eine langjährige europäische Erfahrung zurück: »Die Stadt bietet unvergleichliche Kontaktmöglichkeiten zu den europäischen Institutionen. Es gibt neben Brüssel kaum einen anderen Ort, an dem man Kontakt zu so vielen Diplomaten aus der ganzen Welt pflegen kann.«
Auch B’nai B’rith, das stolz auf sein mehr als 150-jähriges Bestehen zurückschaut und sich als eine der weltweit größten jüdischen Vereinigungen sieht, hat seine Europa-Zentrale in Brüssel eingerichtet und sich als Nichtregierungsorganisation bei der Europäischen Union formell registrieren lassen. »Gerade für die vielfältigen humanitären Aktivitäten, die einen Schwerpunkt unserer Tätigkeit bilden, ist der enge Kontakt zu den europäischen Institutionen unerlässlich«, sagt Europa-Präsident Ralph Hofmann.
Transatlantisch Ähnlich sieht es das American Jewish Committee (AJC), dessen Brüsseler Repräsentanz, das »Transatlantic Institute«, im Februar seine zehnjährige Präsenz in Brüssel feierte. Direktor Daniel Schwammenthal sagt: »Die EU spielt eine wichtige Rolle für jüdische Interessen in Europa, aber auch weltweit.« Für den AJC sei es darum »eine Selbstverständlichkeit, in Brüssel präsent zu sein«.
Das verwundert nicht, denn ob es sich um den Nahostkonflikt handelt oder um die Zunahme antisemitischer Äußerungen in Europa, immer ist es wichtig, auf Kommission, Rat und Parlament Einfluss zu nehmen, um das Feld nicht den Widersachern alleine zu überlassen.
Das ist auch ein Grund, weshalb der Europäisch-Jüdische Kongress (EJC) vor einiger Zeit seinen Sitz von Paris nach Brüssel verlegt hat. Auf Initiative des EJC wird seit mehreren Jahren im Europäischen Parlament der Internationale Tag des Holocaust-Gedenkens am 27. Januar feierlich begangen. Ursprünglich nur eine quasi private Initiative des EJC unter der Schirmherrschaft von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, ist die Feierstunde seit 2013 offiziell in die Agenda des Europäischen Parlaments aufgenommen worden.
institutionen Auch der EJC misst den europäischen Institutionen in Brüssel eine überragende Bedeutung bei, bestätigt Sprecher Philip Carmel: »Viele Gesetze werden in Brüssel gemacht, und das Europäische Parlament gewinnt aufgrund des Vertrags von Lissabon eine immer größere Bedeutung.« Darum bestehe ein »vitales Interesse daran, eine dauerhafte Vertretung der europäischen Juden in Brüssel zu haben. Sie muss Einfluss nehmen in allen Bereichen, die das Judentum in Europa und darüber hinaus betreffen«.
Auch das religiöse Judentum weiß um die Bedeutung der EU. Die Große Synagoge von Brüssel wurde von der Europäischen Rabbinerkonferenz 2008 zur »Großen Synagoge von Europa« erkoren. An der Veranstaltung damals nahm auch Kommissionspräsident Manuel Barroso teil, und Brüssels Oberrabbiner Albert Guigui sprach einen eigens für den Kontinent verfassten Segen: »Möge Europa in Glück und Frieden leben; möge es groß und stark sein durch Eintracht. Möge es seiner Berufung treu bleiben und Gerechtigkeit und Freiheit in der Welt verteidigen.«
Chabad Auch die Chabad-Bewegung ist in der Europa-Hauptstadt präsent. Sie engagiert sich in Brüssel, wie überall auf der Welt, in der ihr eigenen Weise radikal-tolerant und hat den Brauch des Chanukka-Lichterzündens auf öffentlichen Plätzen auch nach Brüssel importiert. Die »Europäische Synagoge«, die vom Lubawitscher Rabbiner Michoel Rosenblum geleitet wird, liegt nur wenige Meter vom Schumannplatz entfernt und damit im Zentrum des europäischen Geschehens.
Dort bietet sie den bei der EU tätigen ebenso wie den vielen durchreisenden Juden vom Kiddusch bis zur Kinderbetreuung alles an, was man für seine Jüdischkeit so braucht. Ja, Brüssel ist in der Tat ein Brennpunkt jüdischen Interesses.