Anfang vergangener Woche waren Donuts in ganz Melbourne ausverkauft, denn zum ersten Mal seit März hatte der Bundesstaat Victoria keinen neuen Coronafall zu verzeichnen. Um diese Null, die der Form eines Donuts ähnelt, zu feiern und sich nach so langer Zeit etwas Gutes zu tun, aßen die Victorians nun Donuts.
Nach fast 16 Wochen beendete Melbourne – wo etwa 50.000 Jüdinnen und Juden leben – offiziell seinen zweiten Lockdown. Und der war nicht ohne: Während des Winters, der gerade zu Ende gegangen ist, war es nicht gestattet, sich weiter als fünf Kilometer von zu Hause zu entfernen.
gottesdienste Sport im Freien war nur für eine Stunde erlaubt, und das auch nur einmal am Tag. Es fanden keine Gottesdienste statt, die Schulen blieben geschlossen, genauso wie Geschäfte, Restaurants und Spielplätze. Man musste Maske tragen, sobald man das Haus verließ.
Was den Lockdown für den Bundesstaat Victoria zusätzlich erschwerte, war die Tatsache, dass es nur dort eine zweite Corona-Welle gab und nicht in den anderen australischen Bundesstaaten. Das hieß: In anderen Städten öffneten die meisten Läden, Gottesdienste fanden statt, wenn auch unter strengen Hygieneauflagen, und Freizeitaktivitäten waren wieder erlaubt.
Melbournes Juden feierten Pessach, Rosch Haschana, Jom Kippur und Sukkot im Lockdown.
Melbournes Juden feierten Pessach, Rosch Haschana, Jom Kippur und Sukkot im Lockdown. Sie verpassten 20 Schabbat-Essen mit ihren Familien, ihnen entgingen zahllose Barmizwa-Feiern, Hochzeiten, und auch an vielen Beerdigungen durften sie nicht teilnehmen.
hohe feiertage In dieser Zeit gewannen Videokonferenzen im jüdischen Leben von Melbourne stark an Bedeutung. Man sang die Semirot mit dem Rabbiner auf Facebook, hatte den Pessach-Seder über »Zoom« mit den Verwandten, und statt an den Hohen Feiertagen im September in die Synagoge zu gehen, sah man YouTube-Videos mit den traditionellen Gebeten.
Der Rabbinical Council of Victoria rief das Projekt »Hohe Feiertage« ins Leben. Mit Erlaubnis der Regierung wurden ein Kalender und ein Stadtplan aufbereitet, mit dem Jüdinnen und Juden sehen konnten, an welchen Stellen es erlaubt war, das Schofar unter Einhaltung der Abstandsregeln zu hören. Dutzende Schofar-Bläser standen in Parks, an Straßenecken und Auffahrten und bliesen das Widderhorn.
Die egalitäre orthodoxe Synagoge »Shira Hadasha« in Melbourne nutzt, wie viele andere orthodoxe Gemeinden, keine Streams am Schabbat. »Wir haben einen Stundenplan für Events vor und nach dem Schabbat entworfen«, sagt Mandi Katz, die Altpräsidentin der Gemeinde, mit dem Hinweis, dass es auch kulturelle und pädagogische Angebote per Zoom gab.
zoom Melbournes Reformsynagogen übertrugen ihre Gottesdienste per Zoom. Die größte von ihnen, Temple Beth Israel, hatte beim Kol Nidre 3000 Online-Zuschauer. Die Gemeinschaft von »Shira Hadasha« erreichte sowohl ständige Mitglieder als auch ehemalige, die weggezogen sind. »Was wir wirklich vermisst haben, ist das gemeinsame Singen«, betont Mandi Katz.
Der strenge Lockdown mag in Melbourne inzwischen zwar beendet sein, Gottesdienste jedoch sind, wenn sie in Innenräumen stattfinden, weiterhin auf zehn Beter beschränkt.
Der strenge Lockdown mag in Melbourne inzwischen zwar beendet sein, Gottesdienste jedoch sind, wenn sie in Innenräumen stattfinden, weiterhin auf zehn Beter beschränkt. Draußen dürfen sich 20 Menschen gemeinsam versammeln. Wer in die Synagoge will, muss vorher ein Ticket buchen.
In Australien beginnt gerade der Frühling, deswegen wird »Shira Hadasha« Gottesdienste für 20 Beter, die vorher ein Ticket gekauft haben, auf dem Dach abhalten. Wenn die Temperaturen weiter steigen, sollen auch Sonnensegel angebracht werden, um älteren Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, am Gottesdienst teilzunehmen.
schulen Auch die acht jüdischen Schulen in Melbourne waren seit März im Lockdown, und der Unterricht fand online statt. Der Direktor des Mount Scopus Memorial College, Rabbi James Kennard, sagte in einer Video-Botschaft: »Als Schule und Gemeinschaft sind wir durch die Herausforderung gewachsen.« Zwar ist es bis zu den Sommerferien nicht mehr allzu lange hin, aber die Schülerinnen und Schüler können wieder in den Unterricht gehen.
Und Melbourne kann einen weiteren »Donut Day« feiern, da es keine Corona-Neuinfektionen gegeben hat. Falls dies so bleiben sollte, werden die Einschränkungen in den kommenden Wochen weiter gelockert. Die Hoffnung, dass das jüdische Leben auch wieder jenseits des Bildschirms stattfindet, ist groß. Der Hunger nach Donuts auch.