Eine solche Feier hatte es in der Geschichte der Europäischen Union jüdischer Studierender (EUJS) wohl noch nicht gegeben: Zum 40-jährigen Bestehen des Dachverbandes fanden sich am Sonntag 150 Gäste zum Galadinner in Brüssel ein, darunter auch elf der 17 ehemaligen EUJS-Vorsitzenden. Gekommen waren außerdem Vertreter des Europäischen Parlaments, der EU-Kommission sowie wichtiger jüdischer Organisationen. Eigens aus New York eingeflogen war David Harris, der Chef des American Jewish Committee, um dem Verband seine Aufwartung zu machen.
Der EUJS-Gründungsvorsitzende Claude Marinower, heute Vizebürgermeister der flämischen Großstadt Antwerpen, erinnerte an die bescheidenen Anfänge der EUJS: Im Februar 1978 trafen sich 150 jüdische Studierendenvertreter im französischen Grenoble, um einen gemeinsamen Dachverband zu gründen. Einige Monate später verlegte man den Sitz der Organisation nach Brüssel.
»Wir hatten damals kaum Geld und standen völlig unter der Kontrolle der Jewish Agency for Israel. Als wir versuchten, eigene Wege zu gehen, kürzten uns die Israelis das Budget, und erst später gelang es, finanzielle Unterstützung vom Jüdischen Weltkongress, vom Europarat und von anderen zu bekommen«, erinnerte sich der Brüsseler Universitätsprofessor Joël Kotek, der damals Marinower im EUJS-Vorsitz nachfolgte. Zu seiner Zeit sei das Büro der Organisation im Haus seiner Eltern untergebracht gewesen, sagte Kotek.
Heute ist alles anders: Die Europäische Jüdische Studierendenunion unterhält nicht nur ein richtiges Büro, sondern beschäftigt auch eine Handvoll hauptamtlicher Mitarbeiter. 34 nationale studentische Dachverbände sind der EUJS angeschlossen, darunter die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD). Die Verbände repräsentieren insgesamt fast 200.000 junge Juden in ganz Europa.
OSTBLOCK Mehrere Redner bei der Gala erinnerten daran, dass es in den Gründerjahren der Organisation noch den Eisernen Vorhang und die Berliner Mauer gab. 1982 organisierten Kotek und EUJS-Generalsekretär Yoram Hess einen Besuch in Budapest, wo sie auch mit Vertretern der örtlichen jüdischen Gemeinde zusammenkamen. »Um eine Gruppe von oppositionellen Juden zu treffen, mussten wir mehrmals das Fahrzeug wechseln, damit uns kein Spitzel folgt«, erinnerte sich Hess.
Nach Kotek prägte in den 80er-Jahren Maram Stern als EUJS-Vorsitzender den Verband. Unter seiner Ägide wurden die Kontakte in die Ostblockländer ausgebaut und der politische Einfluss der Organisation insgesamt gestärkt. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs unterstützte die EUJS den Aufbau neuer jüdischer Studierendenverbände in Osteuropa.
UMBRÜCHE Joëlle Fiss, die den Verband von 1999 bis 2001 leitete, erinnerte sich in Brüssel an die abrupten Umbrüche, denen sich die jüdische Welt kurze Zeit später ausgesetzt sah: »Als ich 1999 als EUJS-Vorsitzende anfing, hatten wir eine Ära relativer Stabilität. Im Nahen Osten herrschte Frieden. Dann begann die Zweite Intifada. Und nur einige Stunden, nachdem ich von der berüchtigten Antirassismus-Konferenz der Vereinten Nationen in Durban zurückgekehrt war, geschahen die Terroranschläge des 11. September. Die Lage hatte sich plötzlich völlig verändert.«
Heute sind der Kampf gegen Antisemitismus und der Einsatz für Israel wichtige Betätigungsfelder der EUJS. Vor zwei Wochen gelang es ihren Vertretern, das Europäische Jugendforum, den Zusammenschluss europäischer Jugendverbände, dazu zu bewegen, eine Entschließung gegen Judenhass zu verabschieden und die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) anzunehmen.
Die derzeitige EUJS-Vorsitzende Alina Bricman aus Rumänien sagte der Jüdischen Allgemeinen: »Junge Menschen sehen sich in der Regel als fortschrittlichen Teil der Gesellschaft. Dennoch gibt es gerade in dieser Gruppe viele Ressentiments gegenüber Israel, und das führt zu Antisemitismus. Als Diasporajuden werden wir mit dem Verweis auf Israel oft ausgegrenzt von Bewegungen, die sich für Minderheitenschutz oder Frauenrechte einsetzen. Deshalb freut es uns natürlich, dass das Jugendforum jetzt unserem Antrag zugestimmt und die IHRA-Antisemitismus-Definition angenommen hat.«
Die EU-Antisemitismus-Beauftragte lobt die EUJS für ihre Hartnäckigkeit.
Die Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission, Katharina von Schnurbein, lobte in ihrer Ansprache die jüdischen Studierendenvertreter für ihre Hartnäckigkeit, was die Umsetzung der Antisemitismus-Definition angeht. Vergangene Woche ist die EU-Exekutive formal der International Holocaust Remembrance Alliance beigetreten.
GRUSSWORTE Die meisten Redner hoben in ihren Grußworten nicht nur die politische Arbeit der Studierendenunion, sondern auch ihre Bedeutung für die Begegnung junger Juden in Europa hervor. Mehrere ehemalige EUJS-Vorstandsmitglieder haben ihre Partner fürs Leben im Rahmen von EUJS-Aktivitäten kennengelernt. Einer bedankte sich sogar bei Irans früherem Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad: Der junge Mann hatte in Genf an einer EUJS-Protestaktion gegen das Mullah-Regime teilgenommen und dort seine spätere Frau kennengelernt.
»Die EUJS ist einzigartig«, sagte Benjamin Fischer aus Deutschland, der den Verband von 2015 bis 2017 führte. »Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich dort das Gefühl, dass ich meine Weltoffenheit und meine jüdische Identität miteinander in Einklang bringen konnte.«
Diese Einschätzung teilten auch andere Teilnehmer des Galadinners. Immer wieder wurde die EUJS-Sommeruniversität genannt, die der Verband seit 1988 alljährlich in angesagten Ferienorten veranstaltet und zu der sich inzwischen rund 400 junge Erwachsene aus mehr als 30 europäischen Ländern einfinden – nicht nur, um politische Anliegen zu diskutieren, sondern vor allem auch, um gemeinsam Sport zu treiben und zu feiern.
Es kam an diesem Abend in Brüssel deutlich zum Ausdruck: Für viele Gäste ist die EUJS mehr als nur ein Dachverband; sie ist eine Art zweite Familie, in der man seine jüdische Identität erfahren und auch feiern kann. Noch bevor kurz vor Mitternacht das Dessert serviert wurde, stürmten die Dinnergäste das Tanzparkett. Nicht umsonst haben EUJS-Partys einen legendären Ruf.