Polen

Herr Pfarrer erklärt die Welt

Zündelt: Krakaus Bischof Tadeusz Pieronek Foto: imago

Der Holocaust-Gedenktag ist vorbei. Rund um diesen Tag ruht in Polen der Kampf gegen den Alltagsantisemitismus. »Alles hat seine Zeit«, erklärt Piotr Kadlcik, der Vorsitzende des Bundes jüdischer Gemeinden in Polen. »Am Gedenktag sind die Toten wichtiger.«

Nur zwei Tage vor dem 65. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee hatte der Krakauer Bischof Tadeusz Pieronek den Holocaust als »Propagandawaffe« bezeichnet. Die Juden würden ihn benutzen, um Vorteile für sich herauszuschlagen. Empörung löste insbesondere der Satz aus: »Die Schoa als solche ist eine Erfindung der Juden.

Propagandawaffe Pieronek soll dies im Interview mit dem konservativ-katholischen Internetportal Pontifex.roma in Italien gesagt haben. Zugleich weckte dieser Satz aber Zweifel an der Seriosität der Webseite. Denn der ehemalige Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz war zwar bislang durch frauenfeindliche und homophobe Äußerungen aufgefallen, doch den Holocaust hatte er noch nie geleugnet. Tatsächlich erwähnte Pieronek im veröffentlichten Text den Massenmord an den Juden als historische Tatsache und meinte offensichtlich, dass der Begriff »Schoa« die hebräische Bezeichnung für das Wort »Holocaust« sei. Nicht distanzieren wollte er sich allerdings von dem Satz, dass die Schoa »als Propagandawaffe benutzt« werde, »um Vorteile herauszuschlagen, die oft ungerechtfertigt« seien.

Kurz vor dem Gedenktag schüttelte Piotr Kadlcik noch den Kopf und erklärte: »Wie soll man das kommentieren? Vielleicht haben die Medien, statt über Fakten zu schreiben, wieder einmal selbst Fakten geschaffen? Die ganze Diskussion zeigt, wie brüchig der christlich-jüdische Dialog ist.« Tage später, schon nach dem 27. Januar, flammte die Diskussion über den polnischen Alltagsantisemitismus erneut auf. »Was Bischof Pieronek in den letzten Tagen zu seiner Verteidigung vorgebracht hat, ist einfach furchtbar«, sagt Marcin Kornat, der Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation »Nigdy Wiecej« (Niemals Wieder). »Er wirft einem Juden Arroganz und Unbildung vor, der den polnischen Antisemitismus anprangert. Das ist unfassbar!«
Seit Jahren kämpft Nigdy Wiecej gegen Rassismus und Antisemitismus in Polen, legt immer wieder »Braunbücher« mit Straftaten vor, die fast nie geahndet werden. Jetzt prangert die Organisation die polnische Regierung an. Sie bestücke mithilfe der staatlichen Firma RUCH die Zeitungskioske in ganz Polen regelmäßig mit rassistischer und antisemitischer Presse. Knapp 10.000 Polen haben die Petition schon unterschrieben: Keine antisemitische Presse mehr an den Kiosken!

verschwörung Im Appell zitiert Nigdy Wiecej aus der Presse, die die staatliche Firma RUCH der Bevölkerung Polens Tag für Tag zugänglich macht. So schreibt beispielsweise die Zeitschrift »Geheime Geschichten der Welt«: »Der Jude ist ein Mensch, der überall Geschäfte macht. Sogar in der Hölle macht er noch Karriere als Blutsauger.« Oder das Blatt »Allein Polen«: »Juden sind sehr selbstsüchtig. Das Leid von Esten, Letten oder Polen interessiert sie nicht. Für sie zählen allein Juden.« In »Kulissen der Verschwörung« heißt es: »Ethnische Polen in Polen werden so manipuliert, dass sie für Juden aus Polen stimmen. Polen wird von Fremden regiert.« Außerdem: »Es ist ein Dogma, dass es keine jüdische Verschwörung gibt.«

Vergangenes Jahr ließ die Anti-Defamation League in sieben Ländern Europas eine Umfrage durchführen. Das Nachrichtenmagazin Newsweek Polska, das das Ergebnis im März 2009 veröffentlichte, zeigte sich schockiert über den »allgegenwärtigen Antisemitismus« in Polen. Der Umfrage zufolge glauben 48 Prozent der Polen bis heute, dass Juden am Tod Jesu schuld seien, 55 Prozent finden, dass Juden zu viel über den Holocaust redeten, und 54 Prozent halten Juden für zu einflussreich im Bank- und Finanzsektor.
»Es ist kein Wunder, dass die Polen zu den schlimmsten Antisemiten Europas zählen, wenn sogar Geistliche wie Bischof Pieronek behaupten, dass der Holocaust eine jüdische Propagandawaffe sei, oder dass die Juden eine gute Presse hätten, hinter der mächtige Finanzmittel stünden«, sagt Marcin Kornat. »Wir sind konsterniert. Dass eine solche Stimme aus der Kulturmetropole Krakau kommen könnte, hatten wir nicht erwartet.«

Südafrika

Terroristin auf dem Straßenschild?

In Johannesburg soll eine wichtige Hauptverkehrsstraße nach der Flugzeugentführerin Leila Chaled benannt werden

von Michael Thaidigsmann  16.10.2024

New York

Versteck von Anne Frank wird in Originalgröße nachgebaut

Rekonstruktion soll zum 80. Jahrestag der Befreiung des deutschen Konzentrationslagers Auschwitz in New York zu sehen sein

von Annette Birschel  16.10.2024

Österreich

Wenn der Rebbe keltert

Der Wiener Rabbiner Schlomo Hofmeister kauft jedes Jahr bei einem Winzer im Burgenland Trauben und produziert seinen eigenen koscheren Wein. Ein Ortsbesuch in Gols

von Tobias Kühn  16.10.2024

Lufthansa

Millionenstrafe wegen Diskriminierung von Juden

Die USA sanktionieren die Airline wegen des Ausschlusses von 128 jüdischen Fluggästen vom Weiterflug nach Ungarn

 16.10.2024

Indien

Kosher Mumbai

Mithilfe der »Jewish Route« soll in der indischen Metropole der reichen jüdischen Vergangenheit gedacht und eine Brücke zur Gegenwart geschlagen werden

von Iris Völlnagel  15.10.2024

Ungarn

Identitäten im Dilemma-Café

»Haver« nennt sich eine Stiftung, deren Ziel es ist, nicht-jüdischen Jugendlichen durch Spiele und moderierten Diskussionen das Judentum näherzubringen

von György Polgár  14.10.2024

Ungarn

Willkommen in Szarvas!

Einen Sommer über haben Kinder aus Osteuropa, aber auch aus Israel oder der Türkei in Szarvas neben Spaß und Spiel auch Stärke und Resilienz tanken können

von György Polgár  14.10.2024

Norwegen

Wegen erhöhter Terrorgefahr: Grenzkontrollen eingeführt

In Oslo wächst die Sorge vor Angriffen auf jüdische und israelische Einrichtungen

 14.10.2024

New York

»Ich bin das Produkt«

Der Modemacher Ralph Lauren wird 85

von Christina Horsten  14.10.2024