Das Fernsehduell des amerikanischen Präsidenten mit Donald Trump war eine Katastrophe. Joe Biden stammelte, er war heiser, manchmal schien er komplett verloren zu sein und starrte mit offenem Mund in die Kamera. Trump dagegen war vital. Er log unaufhörlich, er höhnte und hetzte. Aber er wirkte wach und stark.
Nach dem Duell verfielen die Demokraten in kollektive Panik. Viele von ihnen forderten, Joe Biden möge zurücktreten und einem oder einer Jüngeren Platz machen. Der amtierende Präsident, so hieß es, habe nach diesem verunglückten Auftritt bei den Wahlen im November keine Chance mehr.
Die USA hatten nie einen israelfreundlicheren Präsidenten als Biden.
Ehe wir fortfahren, eine kurze Erinnerung, worum es bei dieser Wahl für Amerikas Juden geht. Joe Biden hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er gegen jede Form von Antisemitismus eintritt. Er hat eine hervorragende Rede gehalten, um die Pro-Hamas-Proteste an amerikanischen Universitäten zu verurteilen.
Er ist objektiv der israelfreundlichste Präsident, den die Vereinigten Staaten je hatten: Kein Präsident vor ihm hat während eines Krieges Israel besucht, keiner hat zur Abschreckung der Feinde Israels Flugzeugträger im Mittelmeer auffahren lassen. Biden hat eine internationale Koalition zusammengestellt, um iranische Drohnen und Raketen abzuschießen, die auf Israel abgefeuert wurden.
Trumps judenfeindliche Klischees
Trump dagegen hat sich in Reden immer wieder judenfeindlicher Klischees bedient. Er hat Nick Fuentes und Kanye West, zwei Holocaustleugner, bei sich empfangen. Juden, die Demokraten wählen, hat er allen Ernstes als Verräter bezeichnet. Was Israel betrifft, werden Trump zwei Dinge gutgeschrieben: die Abraham-Abkommen und die Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem.
Allerdings wären die Abraham-Abkommen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch ohne Trump zustande gekommen: Die sunnitischen Araber pflegen aus Angst vor dem Iran seit Jahren eine informelle Zusammenarbeit mit dem jüdischen Staat.
Und die Verlegung der Botschaft nach Jerusalem, ein symbolischer Akt, wurde von Trumps Schwiegersohn auf eine Art inszeniert, die für die meisten amerikanischen Juden wie eine Ohrfeige wirken musste: Kein einziger Vertreter der politischen Opposition war eingeladen. Stattdessen nahmen an der Zeremonie zwei fundamentalistische Prediger teil, die den Holocaust für die Strafe Gottes halten, und ein rassistischer Rabbiner, der Schwarze mit Affen verglichen hat.
Nach faschistischem Prinzip?
Allerdings müssen Amerikas Juden sich gar nicht an diese Details erinnern, um in ihrer überwältigenden Mehrheit für Biden zu sein. Der von konservativen Richtern dominierte Supreme Court hat soeben ein Urteil gefällt, das den Präsidenten vor Strafverfolgung schützt, wenn er das Recht im Staatsinteresse bricht. Trump könnte als Präsident buchstäblich seine Kritiker ermorden lassen und straffrei bleiben, wenn er den Kritiker zum Staatsfeind erklärt. Wie würde es Juden wohl in einem Amerika ergehen, das nach diesem faschistischen Prinzip (»der Führer setzt das Recht«) organisiert wäre?
Zurück zu Bidens Fernsehauftritt und den Folgen: In der Praxis wäre es beinahe unmöglich, ihn durch jemand anderen zu ersetzen. Schließlich wurde Biden in Vorwahlen längst als Kandidat bestätigt, es gibt keinen erprobten demokratischen Prozess, um ihn in dieser Phase des Wahlkampfes zu ersetzen. Außerdem könnten die Abermillionen an Geld, die Biden für den Wahlkampf eingeworben hat, rechtlich nur an eine einzige andere Person weitergegeben werden: an Kamala Harris, die Vizepräsidentin.
Alle anderen Leute, deren Namen durch den Raum schwirren – Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan; Gavin Newsom, der Gouverneur von Kalifornien –, müssten wieder mit null Cent in der Kasse anfangen. Kamala Harris aber hat zwei Eigenschaften, die sie in den drei bis fünf »Swing States«, auf die es am Ende ankommen wird, gegen Trump verlieren lassen würden: Sie ist schwarz, und sie ist eine Frau.
Zum Glück sind Fernsehduelle nicht wichtig. Sie haben keinerlei Einfluss auf das Wahlverhalten: Die Minderheit von Amerikanern, die sich so etwas anschaut, interessiert sich sehr für Politik, und das heißt, dass diese Amerikaner sich schon vorher eine Meinung gebildet haben. Sie werden sich nicht wegen eines verunglückten Fernsehduells von Biden abkehren, wenn sie nicht schon vorher gegen ihn waren.
Die meisten Amerikaner haben sich mit dem Wahlkampf noch gar nicht beschäftigt.
Wirklich Sorgen müsste man sich machen, wenn Joe Bidens Auftritt an jenem Abend seinen wahren Gesundheitszustand widergespiegelt hätte. Offenbar war sein Problem an diesem Abend aber, dass er unter einer schweren Erkältung litt; daher die Heiserkeit. Natürlich war es ein schwerer Fehler, dass er dies nicht am Anfang seines Auftritts kundgetan hat, etwa so: »Sorry, folks, ich habe einen schlimmen Schnupfen, aber eine Wahrheit, die von einem Verschnupften mit schwacher Stimme gesagt wird, hat immer noch mehr Gewicht als eine Lüge, auch wenn diese Lüge mit kräftiger Stimme gebrüllt wird.«
Die Macht der Frauen
Wie stehen die Chancen in diesem Wahlkampf also wirklich? Es ist schwer, sich an Umfragen zu orientieren, die in der Vergangenheit oft trügerisch waren. Die meisten Amerikaner haben sich noch gar nicht mit diesem Thema beschäftigt. Wichtig ist: Joe Biden war bisher ein erfolgreicher Präsident. In Amerika herrscht beinahe Vollbeschäftigung, die Inflation, die immer niedriger war als in Europa, ist unter Kontrolle, es gibt in den US-Städten so wenige Morde wie seit 50 Jahren nicht mehr.
Dazu gibt es ein paar Fakten: Am 18. September wird von einem New Yorker Richter ein Urteil gegen Trump gesprochen werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er danach eine elektronische Fußfessel tragen muss und in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird. Auch nicht unwichtig: Amerikas Frauen sind weiterhin wütend, weil der Supreme Court das Recht auf Abtreibung gekippt hat. Biden hat bei jenem missglückten Fernsehduell versprochen, er werde, wenn er die nötigen Mehrheiten im Kongress habe, das Abtreibungsrecht gesetzlich festschreiben. Trump dagegen log, die Demokraten wollten Neugeborene umbringen.
Das wird im November eine Rolle spielen. Und keine geringe.