Die Einwanderung französischer Juden trägt wesentlich zum israelischen Wirtschaftswachstum bei. Das ergab eine Studie der Bar-Ilan-Universität aufgrund von Daten des Zentralbüros für Statistik und der Jewish Agency. Demnach bringt diese hervorragend ausgebildete und kaufkräftige Bevölkerungsgruppe dem Staat mehr Geld, als sie ihn kostet. »Für jeden Schekel, den Israel für die französischen Neueinwanderer ausgibt, erhält es 15 Schekel zurück«, stellt Daphna Aviram-Nitzan, Wirtschaftsprofessorin und Leiterin der Untersuchung, fest.
Ferner ergab die Studie, dass die Neueinwanderer aus der Grande Nation das jährliche Bruttoinlandsprodukt um 0,46 Prozent erhöhen. Selbst Ruheständler seien »rentabel«, denn eine Vereinbarung zwischen Israel und der EU erlaubt die Auszahlung der französischen Renten im jüdischen Staat – eine Summe von zwölf bis 13 Millionen Euro pro Jahr.
Doch nach einem Rekord von 7500 im Jahr 2015 ging die Zahl der Einwanderer 2016 auf 4000 zurück. Und neuesten Prognosen zufolge wird sie sich in diesem Jahr nur noch auf 2000 belaufen. Daran wird auch der jüngste Appell von Avigdor Lieberman nichts ändern. Israels ultranationalistischer Verteidigungsminister hatte die französischen Juden erst kürzlich wieder aufgerufen, Frankreich zu verlassen: »Es ist nicht euer Land, kommt nach Israel!«
Rückgang Die Gründe für diesen Rückgang scheinen so vielfältig, wie sie es seinerzeit für den Boom waren. Vor allem jüngere Juden fühlen sich dem Land, in dem sie geboren wurden und aufgewachsen sind, verbunden. So sagt die 22-jährige Jordan Jablonska: »Ich will weiterhin die Marseillaise singen!« Und François, dessen Schwester seit Jahren in Israel lebt, Hebräisch spricht und beruflich integriert ist, weiß von ihr: »Die Franzosen bleiben dort unter sich.«
Aber auch Gemeindemitglieder mittleren Alters wie Jean Max Skenadji, der in der Nähe von Paris eine PR-Agentur betreibt, sagen: »Wir verstehen uns als Franzosen jüdischer Konfession. Wir haben zwei Heimatländer, Israel und Frankreich.« Skenadji, der sich 1967 im Sechstagekrieg als einer der Ersten freiwillig meldete und sich häufig in Israel aufhält, ist dennoch anzumerken, dass er sich ganz deutlich mit seinem Geburtsland identifiziert. Er nennt für seine Entscheidung, in Frankeich zu leben, sowohl private als auch sachlich-politische Gründe. Unter anderem möchte er seinem noch schulpflichtigen Kind eine solch radikale Umstellung nicht zumuten.
Aber auch gestandene Erwachsene stoßen in Israel nicht nur auf sprachliche, sondern ebenso auf bürokratische, berufliche und andere Hürden. Es beginnt schon bei der Führerscheinprüfung, die offenbar französische Neueinwanderer, anders als zum Beispiel Italiener, erneut machen müssen. Und man hört, dass häufig selbst langjährige Fahrer mehrmals durchfallen. Viele fragen sich: Ist vielleicht der schnöde Mammon das Motiv dieser Ungleichbehandlung?
Der Staat hilft zwar bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Doch ist es ein offenes Geheimnis, dass die Anerkennung französischer Diplome und Berufsabschlüsse einem Hindernislauf gleicht. Der Gründer und Vorsitzende des Pariser Nationalen Büros zur Antisemitismusüberwachung BNVCA, Sammy Ghozlan, argwöhnt gar, dass israelische Ärzte möglicherweise die Konkurrenz der besser ausgebildeten westeuropäischen Kollegen fürchten. So wurde ihm selbst von einem Mediziner in Israel geraten, sich lieber in Frankreich behandeln zu lassen. All dies scheint der vom Land und der Jewish Agency gewünschten und geförderten Alija zuwiderzulaufen.
In Frankeich zu bleiben, kann jedoch, jenseits aller abschreckenden Faktoren und persönlichen Gründe, durchaus auch, wie bei Skenadji, ein bewusstes Bekenntnis zur Diaspora sein: »Sie ist ebenso notwendig zur Unterstützung Israels«, sagt er. »Wir als Juden dürfen den Islamisten nicht einfach das Feld überlassen. Wer, wenn nicht wir, sollte vor Ort für Israel arbeiten, etwa durch Protest gegen Fernsehsendungen, in denen der Nahostkonflikt falsch dargestellt wird?«
Neben dem Lobbying führt Skenadji noch ein weiteres Argument ins Feld: Allein die Präsenz etwa einer halben Million Juden in Frankreich habe zum (Wieder-) Aufbau zahlreicher Synagogen geführt.
Jewish Agency Eine gänzlich andere Meinung – allein schon wegen seines Berufes – vertritt Daniel Benhaïm, Direktor der Agence Juive de France. Vom Wochenblatt der frankophonen Juden in Israel, Le P’tit Hebdo, zur Existenzberechtigung der Diaspora befragt, antwortete er: »Ich bin nicht davon überzeugt, dass Israel heute von der Diaspora abhängig ist. Ich glaube eher, dass es das Gegenteil ist, die Dinge haben sich gewendet.« Er sei »zutiefst davon überzeugt«, sagt Benhaïm, dass jeder Jude seinen Platz in Israel habe. Aber er sei dagegen, »denjenigen Schuldgefühle einzureden, die sich entschieden haben, nicht in Israel zu leben«. Es gebe nicht »die guten Juden«, die in Israel leben, und »die schlechten«, die in der Diaspora bleiben.
Auf die Studie zum Rückgang der französischen Alija angesprochen, stellte Benhaïm der wissenschaftlichen Statistik seine eigene Interpretation gegenüber: »Die Alija ist nicht nur eine Frage der Zahlen. (...) Es handelt sich nicht um das Wirtschaftswachstum eines Unternehmens, sondern um eine menschliche Entscheidung, die reifen muss.«
Benhaïms Sicht geht in die ähnliche Richtung wie eine Bemerkung, die Frankreichs Oberrabbiner Haïm Korsia vor zwei Jahren machte: Die Alija sei kein Notausgang, sagte er, als der islamistische Terror die Auswandererzahlen 2015 in die Höhe schnellen ließ.
Benhaïm verteidigt die Integrationsbemühungen des israelischen Staates, und er ermahnt die französischen Neueinwanderer: Sie sollten sich endlich von dem Gedanken verabschieden, Israel alles beibringen zu wollen.