Früher gab es in Bulgarien 26 jüdische Schulen, doch das ist lange her. Mit der Verabschiedung des judenfeindlichen »Gesetzes zum Schutze der Nation« mussten sie im Januar 1941 schließen. Erst Bulgariens Ausscheiden aus dem Bündnis der Achsenmächte ermöglichte 1944 wieder ihre Eröffnung.
Nachdem aber Ende der 40er-Jahre rund 90 Prozent der knapp 50.000 bulgarischen Juden in den neu gegründeten Staat Israel ausgewandert waren, schloss Sofias letzte verbleibende jüdische Schule kurz darauf im Jahr 1951.
lauder FOUNDATION Als 1987 der heutige Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder – er war damals US-Botschafter in Wien –, erstmals Sofia besuchte, fragte er: »Wo ist die jüdische Schule?« Es gebe eine staatliche Schule, die ihre Schüler in Hebräisch und jüdischer Kultur unterrichte, erhielt er zur Antwort. »Das ist prima«, erwiderte Lauder, »doch eines Tages würde ich gern eine richtige jüdische Schule für die Juden in Sofia haben.«
Nun ist es so weit: Die bulgarisch-jüdische Dachorganisation »Schalom« hat ihre eigene Schule. Sie trägt Ronald S. Lauders Namen, denn seine private Stiftung finanziert die Einrichtung zu fast zwei Dritteln.
»Was wollen wir von der Schule?«, fragte Lauder in seiner Ansprache bei der feierlichen Eröffnung vor einigen Wochen. »Wir möchten, dass die Kinder stolz sind, jüdisch zu sein. Doch dafür müssen sie wissen, was es mit dem Judentum auf sich hat, und das werden sie hier lernen«, gab er selbst zur Antwort.
Im Laufe der nächsten zwei bis drei Jahre soll im einstmals jüdischen Viertel Vazrazhdane ein großes modernes Schulgebäude errichtet werden.
stipendiaten Zurzeit ist die Schule vorübergehend im bisherigen jüdischen Altersheim im Sofioter Bezirk Losenets untergebracht. 83 jüdische Schüler besuchen die ersten fünf Klassen. In der Regel haben sie eine Schulgebühr von umgerechnet rund 2400 Euro pro Jahr zu zahlen – es sei denn, sie gehören zu den 22 nach sozialen Kriterien ausgewählten Stipendiaten.
Im Laufe der nächsten zwei bis drei Jahre soll im einstmals jüdischen Viertel Vazrazhdane (deutsch: Wiedergeburt!) ein großes modernes Schulgebäude errichtet werden. Dort sollen eines Tages jüdische und nichtjüdische Schüler von der ersten Klasse bis zum Abitur unterrichtet werden.
Gut 20 Jahre gehörte die staatliche 134. Schule »Dimtscho Debelianov« zum Netz der Schulen der Ronald S. Lauder Foundation in Europa. Auf deren Website steht sie noch immer als »Lauder ORT Elementary & High School Sofia«. Über dem Eingang der nach einem berühmten bulgarischen Literaten benannten Schule in Sofias pittoresker Pirotska-Straße steht inzwischen nur noch »ORT School«.
curriculum Es war vor allem die jüdische Organisation ORT, die Sofias »jüdischer Schule« ein auf Zukunftstechnologien und Naturwissenschaften zugeschnittenes Curriculum ermöglicht hat, das sie auch für nichtjüdische Schüler attraktiv macht.
ORT hat nicht nur die Einrichtung moderner Unterrichtsräume für Informatik und Biologie gesponsert, sondern ebenso ein modernes Medienzentrum. Es verfügt über alle technischen Voraussetzungen für die Produktion von Film- und Tonaufnahmen.
Eines Tages sollen die Schüler bis zum Abitur unterrichtet werden.
Jedes Jahr im Sommer kommen im Medienzentrum Schüler aus einem Dutzend Länder zur zweiwöchigen Digital Skills Academy Europe zusammen. An ihrer Durchführung beteiligen sich auch bulgarische Fernsehsender und das im Sofioter Vorort Bojana ansässige Filmstudio »Nu Image«, bekannt für Hollywood-Blockbuster wie Rambo und The Hitman’s Bodyguard.
absolventen »Unsere Absolventen haben auf dem bulgarischen Arbeitsmarkt sehr gute Chancen, nicht zuletzt bei den vielen in Bulgarien tätigen israelischen Unternehmen«, sagt Vessela Paldemova-Kovacheva. Die Direktorin der Dimtscho-Debelianov-Schule ist zuversichtlich, dass ihre Einrichtung für Sofias Schüler auch ohne Lauders Unterstützung attraktiv bleiben und sich neben der neuen Privatschule behaupten wird.
»Bulgarien ist ein säkulares Land. Es lässt sich deshalb nicht genau sagen, wie viele Juden hier leben«, sagt Paldemova-Kovacheva. »Sollten es aber 5000 sein, so wohnen sicherlich 4000 von ihnen in Sofia.« Lediglich ein Viertel ihrer mehr als 1000 Schüler ist jüdisch, doch auch für die nichtjüdischen Schüler ist das Erlernen der hebräischen Sprache und die Beschäftigung mit jüdischer Geschichte und Kultur verbindlich.
Stella Dinkova, Hebräischlehrerin an der Dimtscho-Debelianov-Schule, teilt Paldemova-Kovachevas Zuversicht. »In den unteren Klassen lehren wir unsere Schüler Hebräisch nach dem in Kanada von Philologen, Musikern, Ärzten und Psychologen entwickelten Lehrsystem ›Tal Am‹«, erklärt sie. Dieses basiere auf dem jüdischen Festkalender, enthalte Lieder, Spiele und Theaterelemente. »Das ist sehr unterhaltsam«, sagt Dinkova.
In der 12. Klasse unterziehen sich die Absolventen von Dimtscho Debelianov einer Prüfung vor dem israelischen Bildungsministerium und erhalten bei erfolgreichem Bestehen ein Zeugnis.
kindergarten »Eigentlich hatten wir die Absicht, unseren Kindergarten zu erweitern, denn er hat guten Zulauf«, erzählt Schalom-Geschäftsführerin Julia Dandolova im Jüdischen Kultur- und Gemeindezentrum am Alexander-Stamboliski-Boulevard. »Als wir aber mit Ronald Lauder darüber sprachen, regte er die Gründung einer neuen Schule an. Von der Idee bis zur Umsetzung vergingen gerade einmal zwei Jahre.«
Die Lauder-Stiftung führte die Schalom-Verantwortlichen nach Athen, Helsinki und Prag – Städte mit ähnlich großen jüdischen Gemeinden wie Sofia.
Die Lauder-Stiftung führte die Schalom-Verantwortlichen nach Athen, Helsinki und Prag – Städte mit ähnlich großen jüdischen Gemeinden wie Sofia. »Wir besichtigten dort die modernen jüdischen Schulen und sagten uns: ›So eine Schule wollen wir in Sofia auch haben‹«, sagt Dandolova.
»Wir sind der Debelianov-Schule sehr dankbar dafür, was sie in den vergangenen Jahrzehnten für die Lehre der hebräischen Sprache und des Judentums geleistet hat«, betont Dandolova. »Es ist aber eine staatliche Schule. Dass wir dank Ronald Lauders Unterstützung jetzt unsere eigene haben, darüber sind wir sehr froh.« Die Möglichkeit, kleinere Klassen einzurichten, sei ein großer Vorteil, ermögliche dies doch ein individuelleres Eingehen auf die Lernentwicklung eines jeden einzelnen Schülers.
Wenn Schalom in wenigen Jahren mit der Unterstützung der Stadt Sofia im einst jüdischen Vazrazhdane ein großes modernes Schulgebäude errichtet haben wird und auch die Gymnasialstufen betreibt, dann sieht Dandolova »die Vision der Schule als geistig-kulturelles Zentrum der jüdischen Gemeinde verwirklicht«.
Denn genau dies sei doch eine Schule: »Es interessieren sich alle Mitglieder einer Gemeinde für die Bildung der Kinder – nicht nur die Eltern und Großeltern, sondern auch die Verwandten, einfach alle.«