Ganz gleich, wie sie ausgeht – die Reichstagswahl am Sonntag in Schweden scheint in jedem Fall historisch zu werden. Entweder wird erstmals in der Geschichte des Landes eine bürgerliche Regierung im Amt bestätigt, oder Schweden bekommt mit der Sozialdemokratin Mona Sahlin seinen ersten weiblichen Premier. Seit Monaten liefern sich das Mitte-Rechts-Bündnis des konservativen Regierungschefs Fredrik Reinfeldt und die rot-grüne Opposition ein Kopf-an-Kopf-Rennen in den Umfragen. Zuletzt sahen die Demoskopen Reinfeldts Vierparteienallianz hauchdünn vorn.
Chancen Doch über die Frage, wer in der Staatskanzlei Rosenbad demnächst die Regierungsgeschäfte führt, werden möglicherweise weder Reinfeldt noch Sahlin allein entscheiden. Umfragen räumen den rechtspopulistischen Schwedendemokraten unter ihrem Chef Jimmie Akesson gute Chancen ein, die Vierprozenthürde zu nehmen und damit zum Zünglein an der Waage im Stockholmer Reichstag zu werden.
Mit Forderungen nach einem Burka-Verbot und einem »Stopp der zügellosen Einwanderungspolitik« haben die Schwedendemokraten den Nerv vieler Bürger auf dem Land, aber auch in vielen Vororten der Großstädte Stockholm und Malmö getroffen. In der Hälfte aller Kommunalparlamente ist die Partei bereits vertreten. Dabei verfolgen die Schwedendemokraten eine Strategie, die sehr an jene von Rechtspopulisten in anderen europäischen Ländern erinnert: Muslime werden unter den Generalverdacht der Integrationsunwilligkeit gestellt und als Gefahr für die traditionelle Zusammensetzung der Gesellschaft gesehen. Interessant dabei: Immer wieder gerieren sich die Schwedendemokraten als Schutzpatron der jüdischen Minderheit.
Als Generalsekretär Björn Söder im Rundfunk gefragt wurde, wer denn ernsthaft Anstoß an einer Krankenschwester mit Kopftuch nähme, lautete die Antwort: »Jüdische Patienten könnten angesichts muslimischer Symbole ein Unbehagen empfinden.« Vor der halben Million Muslime in Schweden müsse man die offizielle Minderheit der 25.000 Juden qua Gesetz schützen, erklärte Söder.
Gleichwohl wollen die Schwedendemokraten vermeiden, im traditionell antizionistischen Schweden als projüdische oder gar proisraelische Partei gesehen zu werden. Deswegen schrieben sie noch schnell die Forderung nach einem Importverbot für koscheres Fleisch in ihr Wahlprogramm. Antisemitismus getarnt als Tierschutz.
Schächten Entsprechend weist Lena Posner-Körösi, die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Schweden, darauf hin, kein Jude könne die »menschenverachtende Ideologie« der Schwedendemokraten teilen. Gleichwohl räumt sie ein, dass die etablierten Parteien den Anliegen der schwedischen Juden bislang kaum Gehör schenken. So wollen weder die bürgerliche noch die rot-grüne Allianz das Schächten zulassen. Parteiübergreifend wird bereits seit Jahren ein Verbot der Beschneidung von Jungen diskutiert. Kinderrechte wiegen hierzulande eben schwerer als die Religionsfreiheit.
Das große Thema der Juden in Schweden ist und bleibt aber die Sicherheit. Die Zahl antisemitischer Übergriffe und Anschläge nimmt seit ein paar Jahren deutlich zu. Die Gemeinden in Stockholm, Göteborg und Malmö sind gezwungen, ihre Etats für Sicherheit immer weiter aufzustocken. Doch Willy Silberstein, Vorsitzender des Komitees gegen Antisemitismus, stellt resigniert fest, dass die Bedrohung der Juden vor allem durch radikale Linke und Islamisten von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert wird. Mit der Reichstagswahl werde sich wohl kaum etwas ändern – ganz gleich, wie sie ausgeht.