Studie

Hass zwischen Donau und Karpaten

»Gekrümmte Nase und dicke Lippen«, »Schläfenlocken und Sommersprossen«, »intelligent, aber listig und feige«, »Kaufmann, Wucherer oder Gastwirt«: Der Historiker Andrei Oisteanu setzt sich in seiner Studie Konstruktionen des Judenbildes auf fast 700 Seiten mit den diversen Klischees der älteren und modernen rumänischen Kultur auseinander.

Oisteanus historische Analyse basiert auf jahrelanger Archivarbeit: Von Folkloresammlungen, Erzählungen und alten Kirchenbüchern über politische Reden des 19. Jahrhunderts bis hin zu antisemitischen Pamphleten der 30er-Jahre erforschte Oisteanu die unterschiedlichsten Quellen.

Klischees Das Ergebnis seiner Methode, die er »ethnische Imagologie« nennt, ist ein Doppelbild. Einerseits wird das stereotype Porträt des Juden einem »archäologischen« Blick ausgesetzt, der die Genese vieler Klischees in der mittelalterlichen Folklore und Ikonographie entdeckt und deren Entwicklung und Übertragung in die moderne Kultur verfolgt.

Andererseits skizziert das Buch ein detailreiches Bild des rumänischen Antisemitismus auf seinem historischen Weg von einem passiven, unbewussten Thema in alten Volkserzählungen zu einem aktiven, intellektuellen und politischen Diskurs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die vergleichende Perspektive des Autors ermöglicht dem deutschsprachigen Leser stets einen Rückbezug auf den vertrauteren Hintergrund der mitteleuropäischen Kultur, lässt ihn aber dennoch zahlreiche spezifisch lokale Motive entdecken. So erscheint der rumänische Antisemitismus vor allem in seinen späten Ausprägungen viel mehr von religiösen Motiven geprägt als etwa sein deutsches Pendant. Oisteanus Buch analysiert in diesem Zusammenhang den Diskurs der intellektuellen Wegbereiter der antisemitischen Eisernen Garde und identifiziert die wichtigsten Elemente ihres christlich-orthodoxen mystischen Faschismus.

Literatur Oisteanu untersucht auch die Rolle der orthodoxen Kirche in der Zwischenkriegszeit und vor allem während des Zweiten Weltkriegs sowie die Schriften führender rumänischer Intellektueller. Besonders interessant ist die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und der Fremdenfeindlichkeit des spätromantischen Nationaldichters Mihai Eminescu (1850–1889), aber auch mit kontroversen Figuren des 20. Jahrhunderts wie dem Religionshistoriker Mircea Eliade (1907–1986) oder dem Essayisten Emil Cioran (1911–1995), die nach dem Krieg trotz ihrer Verwicklung in den Faschismus eine erfolgreiche intellektuelle Karriere in den USA beziehungsweise in Frankreich machten.

Oisteanus Untersuchung befasst sich aber auch mit der jüngsten Geschichte des rumänischen Antisemitismus, etwa mit dem Wiederaufleben judenfeindlicher Motive im politischen und publizistischen Diskurs der 90er-Jahre. Das Buch ist eine gründliche, ausgewogene Analyse und zugleich Nachschlagewerk.

Andrei Oisteanu: »Konstruktionen des Judenbildes: Rumänische und ostmitteleuropäische Stereotypen des Antisemitismus«. Frank & Timme, Berlin 2010, 682 S., 49,80 €

Andrei Oisteanu
Der Sohn einer jüdischen Familie wurde 1948 in Bukarest geboren und studierte Geisteswissenschaften mit Schwerpunkt Ethnologie. Seine ersten Bücher waren der rumänischen Folklore und Volksmythologie gewidmet. Nach der Wende folgten weitere Studien- und Forschungsaufenthalte in Ungarn, Israel und Deutschland. 2001 promovierte er mit einer Arbeit über das Judenbild in der traditionellen rumänischen Kultur. Diese Arbeit entwickelte sich später zu einer umfassenden Studie, die in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Heute ist Oisteanu Dozent am Zentrum für Jüdische Studien der Bukarester Universität und Mitglied der Rumänischen Akademie, wo er das Fachinstitut für die Geschichte der Religionen leitet. Er beschäftigt sich weiterhin mit der Thematik des rumänischen Antisemitismus und mit der Vorgeschichte des rumänischen Holocaust. In seinem Land gilt Oisteanu seit den 90er-Jahren als einer der wichtigsten Intellektuellen und Publizisten.

Brüssel

Kurswechsel in Belgien?

Am Montag vereidigte König Philippe die neue Föderalregierung unter Führung des flämischen Nationalisten Bart De Wever. Nicht nur im Hinblick auf Nahost dürfte sich einiges ändern

von Michael Thaidigsmann  04.02.2025

Rom

Achtjähriger getreten, geschlagen und bedroht, weil er eine Kippa trug

Der Täter zückte einen abgebrochenen Flaschenhals, als die Mutter und eine Ladeninhaberin ihn aufhalten wollten

 04.02.2025

Angouleme

Charlie-Hebdo-Karikaturist für Comic über Nazi-Raubkunst geehrt

Nach der Terrorattacke auf sein Satire-Blatt vor zehn Jahren wurde Renald Luzier Comic-Buch-Autor

 03.02.2025

Berlin

Friedman: Totalitäre Regime verbreiten Fantasiegeschichten

Der Publizist sieht die westlichen Demokratien zunehmend unter Druck

 03.02.2025

Andorra

Kleiner, sicherer Hafen?

Die Toleranz hat Geschichte im Zwergstaat zwischen Frankreich und Spanien. Aber die jüdische Gemeinschaft darf keine erkennbare Synagoge haben

von Mark Feldon  02.02.2025

Italien

Kaffeeklatsch in Cinecittà

In den 50er- und 60er-Jahren kam Hollywood in die Ewige Stadt. Stars wie Marlon Brando, Audrey Hepburn und Charlie Chaplin zogen nach Rom. Ein neues Buch liefert den Tratsch dazu

von Sarah Thalia Pines  02.02.2025

Großbritannien

Lady Berger und Lord Katz

Zwei jüdische Labour-Abgeordnete wurden zu Mitgliedern des Oberhauses ernannt

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  29.01.2025

Australien

Sydney: Polizei vereitelt Sprengstoffanschlag auf Synagoge

In Sydney wurde ein mit Powergel beladener Wohnwagen sichergestellt - zu den Hintergründen wird noch ermittelt

 29.01.2025

Berlin

Wie ein Holocaust-Überlebender aus der Ukraine auf Deutschland blickt

Er überlebte den Holocaust - und muss nun erleben, wie seine Heimatstadt Odessa von Russland bombardiert wird. An diesem Mittwoch hat Roman Schwarzman die Chance, im Bundestag einen Appell an den Westen zu richten

von Bernhard Clasen  29.01.2025