Grossbritannien

Hass wird ausgeschlossen

Juden begrüßen die Suspendierung des früheren Labour-Chefs Jeremy Corbyn wegen Antisemitismus

von Philip Plickert  05.11.2020 08:56 Uhr

Für viele jüdische Parteimitglieder war Jeremy Corbyn ein rotes Tuch geworden. Foto: imago images/ZUMA Press

Juden begrüßen die Suspendierung des früheren Labour-Chefs Jeremy Corbyn wegen Antisemitismus

von Philip Plickert  05.11.2020 08:56 Uhr

Es ist ein sagenhafter Absturz, den Jeremy Corbyn erlebt. Noch vor elf Monaten versuchte die Labour-Partei ihn zum Premierminister zu machen. Nun aber soll der Altlinke aus der Partei verstoßen werden, für die er seit fast 40 Jahren im Unterhaus sitzt.

Grund dafür ist Corbyns Versagen in einer langen Reihe von antisemitischen Vorfällen in der Labour-Partei und seine uneinsichtige Reaktion auf einen Untersuchungsbericht der staatlichen Gleichheits- und Menschenrechtskommission (EHRC). Ihr 130 Seiten starker Bericht spricht davon, dass Labour jüdische Mitglieder und Juden schikaniert und diskriminiert habe.

Corbyn reagierte uneinsichtig auf einen Untersuchungsbericht.

Für den neuen Parteichef Keir Starmer war das EHRC-Verdikt ein »Tag der Schande« für die Partei. »Null Toleranz« solle es für Antisemiten geben. Der 71-jährige Ex-Parteichef reagierte indes uneinsichtig. Zwar schrieb er, jeder Antisemit in der Partei sei einer zu viel, doch, so Corbyn, das »Ausmaß des Problems wurde dramatisch übertrieben« von politischen Gegnern und den Medien.

Nur drei Stunden später kam aus der Parteizentrale die Quittung: Corbyns Mitgliedschaft wird bis zum Ausgang einer Untersuchung suspendiert, und er fliegt aus der Labour-Fraktion in Westminster.

Erleichterung Unter den britischen Juden und jüdischen Parteimitgliedern waren überwiegend Seufzer der Erleichterung zu hören. Für viele war Corbyn ein rotes Tuch geworden. Das Board of Deputies of British Jews, der Jewish Leadership Council und der Community Security Trust nannten den EHRC-Bericht »ein vernichtendes Urteil über das, was Labour den Juden angetan hat unter Jeremy Corbyn und seinen Verbündeten«.

Der orthodoxe britische Oberrabbiner Ephraim Mirvis und Dutzende jüdische Stimmen zeigten Genugtuung über den Bericht. Ihr Tenor: Endlich werde die Wahrheit quasi amtlich bestätigt. Nach Corbyns trotziger Reaktion kritisierte Margaret Hodge, die Vorsitzende des Jewish Labour Movement, Corbyn verharre »in dauernder Verleugnung«. Doch Corbyn hat bis heute viele Freunde und Verbündete in der Partei. Len McCluskey, der Chef der Unite-Gewerkschaft, die größter Geldgeber von Labour ist, nannte die Suspendierung »einen Akt schwerer Ungerechtigkeit«, der die Partei spalte und ins Chaos stürze.

Sieben Gewerkschaftsbosse haben sich hinter Corbyn gestellt. Linke Publizisten wie Aaron Bastiani verbreiteten die Verschwörungstheorie, die Corbyn-Suspendierung sei »ein vorbereiteter Plan, um die Linke zu zerschmettern«. Die Socialist Campaign Group, der mehr als 30 Unterhausabgeordnete angehören, twitterte am Donnerstag sogleich eine Ergebenheitsadresse für Corbyn. Man werde »rastlos für seine Wiedereinsetzung arbeiten«.

israel Zu den Mitgliedern der Gruppe zählen auch Diane Abbott, die schwarze ehemalige Schatteninnenministerin, und Richard Burgin. Sie teilen Corbyns Sicht auf den Nahen Osten und Israel. Von Burgin ist ein Video von einer Versammlung bekannt geworden, in dem er mit hasserfüllter Stimme brüllt: »Der Zionismus ist der Feind des Friedens!« Erst leugnete er die Aussage, dann fühlte er sich missverstanden.

So hat sich auch Corbyn oft in Antisemitismusfragen herauszureden versucht. Dabei zeigt sein langjähriges politisches Wirken ein klares ideologisches Muster. Der Sozialist, seit 1983 Abgeordneter für den Nord-Londoner Wahlkreis Islington, ist tief geprägt von einer »antiimperialistischen« Ideologie, die sowohl Amerika als auch Israel als imperialistische Unterdrücker betrachtet.

Corbyns Herz schlägt für die Palästinenser. Hamas und Hisbollah bezeichnete er als »Freunde«.

Corbyns Herz schlägt für die Palästinenser. Hamas und Hisbollah bezeichnete er als »Freunde«. Er war dabei, als Palästinenser in Tunis einen Ehrenkranz für die »Schwarzer September«-Attentäter niederlegten, die bei den Olympischen Spielen in München 1972 israelische Athleten ermordet hatten. Vor ein paar Jahren verteidigte Corbyn ein großes Wandgemälde im Londoner East End, das hakennasige – mutmaßlich jüdische – Kapitalisten beim Monopoly-Spiel zeigte, unter deren Tisch Elende kauern. Später sagte er, das Bild habe er gar nicht genau angeschaut.

Gelegenheit Starmer gehörte in den viereinhalb Jahren von Corbyns Parteivorsitz nicht zu denen, die sich offen kritisch gegen die antisemitischen Ausfälle in der Partei stemmten. Im Gegenteil, er war Teil des loyalen Schattenkabinetts. Noch vor einem Jahr erklärte er sich »100 Prozent pro Corbyn«.

Der Chefredakteur des »Jewish Chronicle«, Stephen Pollard, legte in einem Kommentar in der konservativen »Daily Mail« den Finger in die Wunde: »Ja, jetzt hat er sich endlich offen gegen Corbyn ausgesprochen, aber warum war Starmer so verdammt lange still?« Starmer, der mit einer Jüdin verheiratet ist, hielt wohl aus taktischen Gründen den Mund und wartete auf die richtige Gelegenheit.

Die britischen Zeitungen sind nun voll mit seitenlangen Berichten über den »Krieg« in der Labour-Partei. Viele zollen Starmer Respekt.

risiko Aber die Suspendierung des Altlinken Corbyn ist nicht ungefährlich für Starmer. Er geht ein Risiko ein. Zwar hat der hochdekorierte Jurist das Rennen um den Parteivorsitz im April mit deutlichem Vorsprung gegen Corbyns Favoritin Rebecca Long Bailey gewonnen, doch sind nach wie vor wohl mehr als 100.000 Parteimitglieder überzeugte Corbyn-Fans.

Der neue Parteichef habe »einen erbitterten Bürgerkrieg ausgelöst, für den es keine Garantie gibt, dass er ihn gewinnt«, meinte der Labour-nahe »Mirror«. Im »Guardian« schrieb John Crace, »der Albtraum des Parteichefs wird wahr, indem Labour anfängt, sich mal wieder gegenseitig zu zerreißen«.

Ein zäher Streit mit der harten Labour-Linken kann Keir Starmer viel Kraft kosten.

Eigentlich lief es gerade gut für Starmer: Er hat höhere Zustimmungswerte als der angeschlagene Premier Boris Johnson, dessen Corona-Kurs vielen missfällt. In manchen Umfragen liegt Labour vor den Tories.

Ein zäher Streit mit der harten Labour-Linken kann Starmer viel Kraft kosten. Manche Zeitungen vergleichen seinen Schritt mit den Kampfansagen früherer Labour-Chefs wie Neil Kinnock und Tony Blair gegen den Linksaußen-Flügel.

Corbyn will sich mit allen juristischen Mitteln gegen seine Suspendierung wehren. Er hat eine gut gefüllte »Kriegskasse«: Mehr als 360.000 Pfund haben ihm Freunde und Sympathisanten per Crowdfunding gespendet, um ein Gerichtsverfahren durchzuziehen.

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