Beim Board of Deputies of British Jews (BoD), dem Dachverband der jüdischen Gemeinschaft Großbritanniens, gibt es Streit über die Haltung zu Israel und zum Krieg in Gaza.
In einem offenen Brief, der vergangene Woche von der »Financial Times« veröffentlicht wurde, äußerten sich 36 »Deputies« (von den Mitgliedsgemeinden gewählten Delegierte) zum Nahostkonflikt. Die Unterzeichner beklagen darin das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza und im Westjordanland und üben scharfe Kritik an der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
»Wir schreiben als Vertreter der britischen jüdischen Gemeinde aus Liebe zu Israel und aus tiefer Sorge um dessen Zukunft«, heißt es in dem Text. »Die Versuchung, wegzuschauen, ist groß, da das, was geschieht, unerträglich ist. Aber unsere jüdischen Werte verpflichten uns, aufzustehen und unsere Stimme zu erheben.«
Scharfe Kritik üben die Unterzeichner an Israels Fortführung des Krieges gegen die Hamas nach dem Waffenstillstand, besonders im Hinblick auf die noch in Gaza gefangengehaltenen Geiseln. »Bis zum Ende der ersten Phase des zweiten Waffenstillstands (…) sind 135 Geiseln durch Verhandlungen freigekommen, nur acht durch militärische Maßnahmen, wobei mindestens drei auf tragische Weise durch die IDF getötet wurden.«
Netanjahu habe gezielt den Waffenstillstand gebrochen, um den rechtsextremen Politiker Itamar Ben-Gvir zur Rückkehr in die Regierungskoalition zu bewegen, schreiben die Gemeindevertreter. Die israelische Regierung hat derlei Anschuldigungen zurückgewiesen und argumentiert, der Waffenstillstand sei schon vor Beginn der erneuten Offensive ausgelaufen, ohne dass die Hamas weitere Geiseln freigelassen hätte.
»Spalterisch« und »unangemessen«
Die Veröffentlichung des Schreibens durch die »Financial Times« löste Zuspruch, aber auch Entsetzen aus, vor allem, weil offenbar gezielt der Eindruck erweckt wurde, das BoD als Ganzes gehe auf Distanz zu Israel. Gegenüber der Zeitung »Jewish Chronicle« bezeichnete ein Mitarbeiter des Boards das Schreiben als »spalterisch« und »unangemessen«. Er wurde mit den Worten zitiert: »Als britische Juden sollten wir uns nicht zu einer Angelegenheit äußern, die im Grunde genommen eine innenpolitische Angelegenheit Israels ist.«
Der Board of Deputies ist, analog zum Zentralrat der Juden in Deutschland, die demokratisch gewählte Vertretung der jüdischen Gemeinschaft. Insgesamt gibt es rund 300 »Deputies«. Sie fungieren als Abgeordnete der dem Verband angeschlossenen Gemeinden, jüdischen Vereine und Wohlfahrtsorganisationen. Ihre Amtszeit beträgt drei Jahre. Die »Deputies« wählen ihrerseits das fünfköpfige Präsidium des Verbandes.
BoD-Vorstandsmitglied suspendiert
Board-Präsident Philip Rosenberg, der im vergangenen Jahr erst in das Spitzenamt gewählt wurde, kritisierte das Vorgehen scharf. Der Brief sei »nicht repräsentativ für die Haltung des Boards gegenüber Israel«, erklärte er bereits vergangene Woche.
Am Dienstag folgte nun ein weiterer Schritt: Der jüdische Dachverband hat gegen alle 36 Unterzeichner des Briefes ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Es soll vier Wochen dauern. Die Initiatorin des Briefs, Harriet Goldenberg, wurde vom erweiterten Vorstand suspendiert. Ihr wird vor allem vorgeworfen, den Anschein erweckt zu haben, dass es sich bei dem offenen Brief um eine offizielle Erklärung des Dachverbands gehandelt habe.
Rosenberg erklärte in einer Stellungnahme: »Das Board of Deputies ist sich einig: Nur unsere demokratisch gewählten Ehrenamtlichen und autorisierten Mitarbeiter sprechen im Namen der Organisation.« Doch nicht alle sind mit Rosenbergs Kritik einverstanden oder teilen seine Feststellung, der offene Brief sei nicht repräsentativ für die Haltung der Mehrheit der britischen Juden.
In einem von »Jewish News« publizierten offenen Brief einer Initiative, die sich »We Democracy« nennt, heißt es: »Für uns war der Brief der Deputies ein willkommenes Zeichen: Endlich hatten wir das Gefühl, dass die Mehrheit der (britischen jüdischen) Gemeinschaft solidarisch mit der Mehrheit der Israelis ist.« Die sei nämlich gegen die »rechtsextreme Regierung« und verlange ein Ende des Krieges und die schnelle Rückkehr aller Geiseln nach Hause. Das seien keinesfalls »Randmeinungen«.