Wenn Ron Glickman an jenen Besuch im Diasporamuseum in Tel Aviv vor 15 Jahren denkt, dann leuchten seine tiefblauen Augen. Der 31-jährige Vertriebsleiter einer großen Fluggesellschaft erzählt: »Ich bin sehr traditionell aufgewachsen. Für uns bedeutete Jüdischsein immer, Tora zu lesen, Philosophie und Literatur zu studieren – ein vor allem geistiges Leben eben.«
Glickman, der aus einer orthodoxen Familie in New Jersey stammt, ehrte diese Tradition. Doch der heutige Verteidiger und Vereinspräsident des SC Hakoah New York liebte es auch, im örtlichen jüdischen Gemeindezentrum Pick-up-Fußball zu spielen oder im Park mit den lateinamerikanischen Jungs zu kicken. Bis zu jenem Tag in Tel Aviv hatte er dabei jedoch immer ein seltsames Gefühl, so, als sei es irgendwie unjüdisch, was er da tue.
furore Das änderte sich, als er in einer Ecke das Museums ein paar Texttafeln und Fotos fand, welche die Geschichte des Wiener Sportklubs Hakoah dokumentierten. Hakoah sorgte zwischen 1909 und 1938 in ganz Europa für Furore. Die Wiener »Muskeljuden«, wie sie sich selbst halbironisch nannten, hatten unter anderem eine der besten Fußballmannschaften des Kontinents. Bei einer Reise durch die USA 1926 füllten sie die Stadien und entfachten das Feuer für den europäischen Sport in der neuen Welt.
Von Hakoah zu hören, war für Glickman eine Befreiung. Jetzt wusste er: Er konnte ein guter Jude sein und trotzdem ein leidenschaftlicher Fußballer. Der Gedanke an Hakoah ließ Glickman nicht mehr los. Der Besuch des Diasporamuseums hatte bei ihm und seinem älteren Bruder Rov den Wunsch geweckt, Hakoah wiederzubeleben. Doch es sollte noch beinahe zehn Jahre dauern, bis es 2010 so weit war. Die Brüder mussten einen geeigneten Ort finden, Lizenzen erwerben, Sponsoren an Land ziehen – und Spieler finden.
amateurliga Genügend »Muskeljuden« aufzutreiben, die in einer ernsthaften Amateurliga bestehen konnten, erwies sich als schwieriger, als Glickman erwartet hatte. Er umwarb ausgewanderte Profis aus der israelischen Liga und ging die Listen amerikanischer Collegespieler auf der Suche nach jüdischen Namen durch. Am Ende ließ sich eine Elf, die in der US Club Soccer League mithalten kann, nicht ausschließlich mit jüdischen Spielern bestücken.
So entschloss sich Glickman, die Mannschaft zu öffnen. »Es ist schließlich eine gute jüdische Tradition, offen zu sein.« Ein muslimischer Mittelstürmer aus Ghana wurde rekrutiert, ein liberianischer Flüchtling und ein norwegischer Stürmer. Insgesamt sieben Sprachen spricht man heute bei Hakoah.
schlachtruf Trotzdem ist es Ron Glickman wichtig, dass der jüdische Charakter des Vereins bewahrt bleibt: Am Schabbat und an den Hohen Feiertagen wird weder trainiert noch gespielt. Und wenn sich die Spieler nach einem gewonnenen Match im Kreis aufstellen, stoßen sie den Schlachtruf »Schabbat Schalom« aus. Dazu gab es in der dritten Klub-Saison leider kaum Gelegenheit. Hakoah hatte mit Verletzungen zu kämpfen und startete lediglich in der Seniorenliga.
Dennoch hat Glickman einen Traum: eines Tages zu einem Freundschaftsmatch mit den Red Bulls in ihrer hochmodernen Arena in Newark eingeladen zu werden. Das wäre dann ein klein wenig so wie am 1. Mai 1926, als die Wiener Hakoah vor 46.000 Zuschauern in Manhattan gegen die New York Stars spielte.
Der Urgroßvater von Ron Glickman war damals einer der Zuschauer. Glickman kannte ihn nicht, aber es wurde ihm erzählt, dass dieser lange von jenem Tag geschwärmt habe. Die Muskeljuden aus Wien hatten ihn damals stolz gemacht. So stolz, wie Ron Glickman heute auf seine eigene Elf ist.