Über Frankreich schwappt derzeit eine Welle in Marineblau. So zumindest beschreibt die Präsidentschaftskandidatin des rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen, ihre sagenhaften Umfragewerte. Da sie diese Beliebtheit bei den jüngsten Kantonalwahlen zudem auf Kosten der Regierungspartei UMP in Wahlerfolge ummünzte, sucht man im Lager von Präsident Nicolas Sarkozy nun fieberhaft nach Gegenstrategien.
Laizismus-Debatte Sich der blauen Welle entgegenzustellen, scheint nicht infrage zu kommen. UMP-Generalsekretär Jean-François Copé, sonst für klare Ansagen bekannt, weigerte sich, bei Stichwahlen zwischen FN und Sozialisten eine Empfehlung für die Linke auszusprechen. Dann doch eher auf der Welle reiten. Wieder mal. Nach populistischen Aktionen wie dem Anberaumen einer sinnfreien Debatte über die »nationale Identität« und der Ausweisung von Roma, annoncierte Copé für Anfang April eine Aussprache über die Zukunft des Laizismus, also des Verhältnisses von Staat und Religion.
Angesichts sich häufender islamfeindlicher Ausfälle von UMP-Ministern und einer von Marine Le Pen bekannten Verbalakrobatik muss man kein gewiefter Politologe sein, um zu erkennen, dass der Laizismus hier vor allem als Alibi dient, um den Islam ins Visier zu nehmen und öffentlichkeitswirksam in die Schranken zu weisen.
Deshalb war es ein gutes Zeichen, dass sich führende Vertreter der sechs großen Religionsgemeinschaften in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Debatte aussprachen. Der französische Großrabbiner Gilles Bernheim warnte zudem vor einer Radikalisierung des Diskurses: »Der Laizismus ist nicht die Religion jener, die keine Religion haben, sondern er ist eine Kunst des Zusammenlebens.«
»Freund Nicolas« Weniger bedächtig und weitgehend hilflos reagierte der ehemalige Integrationsberater Nicolas Sarkozys, Abderahmane Dahmane, der unter Muslimen stets für die UMP geworben hatte. Seiner Meinung nach könne hinter dem antiislamischen Aktionismus allein Generalsekretär Copé stecken, denn sein »Freund Nicolas« habe sich doch immer als Unterstützer der Muslime hervorgetan. Copé hingegen agiere aus einer Gruppe von »Neonazis« und sei eine »Plage für Muslime«, obwohl er als Jude doch selbst mit Diskriminierungen vertraut sei und als Beschützer auftreten müsse.
Neben dieser Ermahnung, Juden müssten moralisch makellos sein, ließ Dahmane es sich nicht nehmen, auch wirklich alle Register gesellschaftlicher Aufregung zu ziehen. So rief Dahmane schließlich alle Muslime dazu auf, sich als Zeichen gegen die Unterdrückung grüne Sterne an die Kleidung zu heften. Bislang wurden 100 Stück davon verteilt, 30.000 weitere sollen in den nächsten Monaten unters unterdrückte Volk gebracht werden.
Empörte Kritik über die Gleichsetzung des jüdischen Schicksals während der deutschen Besatzung mit der heutigen Situation der Muslime wies Dahmane mit scheinbarer Arglosigkeit zurück. Aus der Aufarbeitung der Schoa scheinen sie den Schluss zu ziehen, dass die Judenvernichtung heutzutage das Non-Plus-Ultra gesellschaftlicher Aufmerksamkeit in Aussicht stellt.
Skandal In Anbetracht dieses Schielens auf den Skandal wählte Richard Prasquier, der Präsident des jüdischen Dachverbandes in Frankreich, CRIF, die richtigen Worte und kommentierte gelassen: »Dies erreicht eine Stufe der Absurdität, die nicht mehr als ein Schulterzucken verdient.«
Tragisch sind Dahmanes Kapriolen vor allem für die Muslime. Denn sie erschweren die Solidarität jüdischer Verbände, zu der diese durchaus bereit wären. Schließlich liegt es im Interesse beider Gruppen, der marineblauen Welle das Wasser abzugraben.