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Wahlen

Griechische Tragödie

Der Erfolg der Rechtsextremisten beunruhigt die jüdische Gemeinschaft

von Marianthi Milona  08.05.2012 16:48 Uhr

Jubel bei den Rechten: Anhänger der faschistischen Partei Chrysi Avgi Foto: ddp

Der Erfolg der Rechtsextremisten beunruhigt die jüdische Gemeinschaft

von Marianthi Milona  08.05.2012 16:48 Uhr

»Heute klingt kein Ton harmonisch«, sagt Kostas Papazoglou, musikalischer Leiter des jüdischen Gesangsvereins von Thessaloniki. Mit übermüdeten Augen und zittrigen Fingern klimpert er lustlos auf dem Piano in seiner Wohnung im Herzen Thessalonikis. Dabei will er einfach keinen Trost finden. Weder bei Brahms noch bei Chopin.

Sonntag war Wahltag in Griechenland. Sonntag sollte zum ersten Mal nach Ausbruch der Finanzkrise das griechische Volk über die Zukunft des Landes befragt werden. Sonntag hat es – anders als die führenden Politiker des Landes bisher immer geglaubt hatten – klar entschieden.

denkzettel Dass die beiden großen Parteien, Pasok und Nea Demokratia (ND), für ihre Europapolitik abgestraft wurden, findet Papazoglou noch verständlich. »Die Verhandlungen mit und in Europa sind nicht im Einvernehmen mit der griechischen Bevölkerung getroffen worden«, meint der Musiker, der mit seinem Chor, bestehend aus Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Thessaloniki, gerne auch mal die politische Situation Griechenlands im Kafenion diskutiert. Zu viele Menschen seien Leidtragende der Krise geworden, während sie gleichzeitig beobachten mussten, dass die Reichen des Landes ihr Geld ins Ausland schafften, ohne Steuern an den Staat zu zahlen.

Doch die 21 Sitze, die die rechtsradikale Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) nach den Wahlen im neuen Parlament einnimmt, ist für die jüdische Gemeinde Griechenlands ein regelrechter Schock. Jetzt müssen die Juden mit noch mehr Anfeindungen als bisher rechnen, so Papazoglou. Parolen der Chrissi Avgi wie »Ja zum Holocaust, damit unser Land sich vom fremden Gestank befreit« hatten bereits im Vorfeld der Wahlen in manchem Athener Viertel für Unruhe in der jüdischen Gemeinde gesorgt.

Zu der Sorge vieler Gemeindemitglieder um ihre Sicherheit kommen die in den letzten beiden Jahren ohnehin schon vorhandenen enormen finanziellen Probleme hinzu. Viele Thessaloniker Juden sind bisher zwar erfolgreiche Händler gewesen, doch die Wirtschaftskrise hat auch sie stark getroffen. An eine positive Veränderung ist im Augenblick in Griechenland nicht zu denken, meint Papazoglou.

Gleichwohl denkt zurzeit kaum jemand an Auswanderung. Im Gegenteil. Die jüdische Gemeinde in Thessaloniki hatte es sogar geschafft, ihre Stadt als interessantes Reiseziel in Israel zu vermarkten.

Die Absicht ist klar: Die Stadt im Norden soll wieder jüdisches Leben kultivieren, statt einen Exodus hervorzurufen, sagt Reno Molho, Dozentin für Geschichte an der Universität in Athen. Aber auch sie spricht nach den Wahlen von einem »Memorandum des Desasters« und meint damit das zweite Sparpaket, das zwischen Griechenland und EU ausgehandelt worden ist. Die ND sei nun so schwach, wie schon seit 40 Jahren nicht mehr, und die Radikalen Linken gehen als zweitstärkste Macht als die eigentlichen Sieger aus den Parlamentswahlen hervor.

verzweiflung »Natürlich kann Griechenland nicht weitermachen, ohne sich an die zugesagten Vereinbarungen mit Europa zu halten«, sagt Molho. Doch nun hat sich die Unfähigkeit der Regierenden im griechischen Parlament offenbart, die richtigen Konditionen für die Zukunft des Landes vereinbart zu haben. Das Wahlergebnis dürfe Europa nicht falsch verstehen. Es ist keine wirkliche Absage an Europa, vielmehr ein Akt der Verzweiflung gegenüber den griechischen Parteien.

»Sie waren doch alle nur an ihrer politischen Karriere interessiert«, sagt Molho aufgebracht. »Und das Schlimme ist, sie haben das Volk nach ihren Ansprüchen erzogen. Disziplin, Fleiß, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, das waren keine Tugenden mehr. Und dann ist systematisch Diebstahl an Staatgeldern begangen worden. Eigentlich müssten doch alle 300 Abgeordneten ins Gefängnis.«

Der Sieg der radikalen linken Partei Syriza macht für Molho eines ganz deutlich: die Sehnsucht Griechenlands nach »sauberen Politikern oder zumindest nach solchen, die nicht nur an die Macht kommen wollen, um sich persönlich zu bereichern«. Ohne Sparen kann kein Besitz geschaffen werden, haben ihre Eltern ihr immer gesagt. Auch deshalb stellt sich immer wieder die Frage: »Wie kann es sein, dass sich griechische Politiker innerhalb von 30 Jahren so immense Reichtümer haben anschaffen können?«

Wenn es nach Sami Taboh geht, dann ist das Ergebnis der Wahlen in Griechenland ein Grund zum Feiern. Der 1952 in Thessaloniki geborene Künstler ist langjähriges Mitglied der jüdischen Gemeinde. Glücklich schließt er die Tür der Galerie ab, in der bis gestern seine letzte Ausstellung zu sehen war.

Für Taboh sollte das Wahlergebnis für keine Partei eine absolute Mehrheit hervorbringen. Es sei Zeit, um sich ernsthaft über Koalitionen zu unterhalten. Die Auflösung in viele Splitterparteien, das ist ein »gutes Nein« gegen ein völkerfeindliches Europa, erklärt Taboh mit ruhiger Stimme. Es sollte wieder über ein anderes Europa nachgedacht werden, sagt er und hofft, dass viele dem Beispiel Griechenlands folgen werden.

probleme Taboh hat in den vergangenen Jahren miterleben müssen, wie ein »Europa der Gesellschaften« zu einem »Europa der Finanzmärkte« reduziert wurde. Viele seiner Freunde wurden arbeitslos, die einen verkauften ihr Auto, die anderen ihr Haus, um überleben zu können. Für den Künstler ist dies die eindeutigste Niederlage des mit Europa ausgehandelten Sparprogramms.

Dagegen ist die Einkehr der Rechtsradikalen ins Parlament für ihn keine Überraschung. »Jetzt können wir wenigstens sehen, wer diese Leute sind. Es hat sie ja immer gegeben. Nur haben sie sich gut in der NA und der Pasok eingefügt.«

Marine Le Pen hat stets behauptet, die Griechen bräuchten keine radikale Partei, denn alle ihre Parteien seien radikal. Dies haben die Wahlen bestätigt. Am Ende bleibt für die Griechen nur eine Frage von Bedeutung: Nicht, was sie jetzt mit Europa anfangen werden, sondern, was Europa mit ihnen machen soll.

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