Rabbi Dov raucht gerne ein bisschen Gras am Freitagnachmittag, wenn er sich auf den Schabbat vorbereitet, nicht exzessiv, immer nur einen kleinen Joint. »Dann kann ich mich besser auf den Feiertag fokussieren«, sagt er, »kann die Alltagsdinge leichter hinter mir lassen.« Zwei-, dreimal habe er auch LSD genommen, erzählt er, bei einer Israelreise im Bergstädtchen Safed, dem Zentrum der Kabbala, der jüdischen Mystik. Da habe er »die Schriftzeichen der Bibel in den 1000 Formen und Farben gesehen und die Tora in einem Licht, hell und warm und tief«.
Dov (29) ist orthodoxer Jude, aufgewachsen in Borough Park in Brooklyn, dem größten Charedi-Viertel außerhalb Israels. Er hat dort das Rabbinerseminar besucht und arbeitet heute als Lehrer in der Erwachsenenbildung in einem Chabad-Haus in Philadelphia. Er hat ein blasses Gesicht mit roten Wangen, einen blonden Unterkieferbart und ein aufgeräumtes, etwas verlegenes Lächeln. Dov ist sein zweiter Name. Er ist vorsichtig, will keine Schwierigkeiten mit seinem Boss bekommen wegen der Drogen, sagt er.
Wirkung Religion und Rausch: Das Thema ist derzeit im Gespräch, nicht zum ersten Mal und nicht nur unter Juden. Einer der Gründe ist eine Studie, die die Johns Hopkins University in Baltimore gemeinsam mit der New York University durchführt. Darin geht es um die Wirkung von psychedelischen Drogen auf Geistliche verschiedener Religionen: Priester, Mönche, Imame, Rabbiner.
Knapp 30 Teilnehmer erhalten im Verlauf der Studie zweimal Psilocybin. Das ist die aktive Substanz von Magic Mushrooms, jenen halluzinogenen Pilzen, die schon die Azteken in religiösen Zeremonien benutzten und die bei den Hippies der 60er-Jahre zur Kultdroge wurden.
»Die Wirkung von Psilocybin tritt schnell ein und hält etwa sechs Stunden«, sagt William »Bill« Richards, Professor für Klinische Psychologie an der Johns Hopkins University und eine Ikone in der Forschung zu psychedelischen Drogen.
Endergebnisse erwartet Richards erst in zwei Jahren, aber es gibt bereits Erfahrungsberichte der Probanden. »Viele Teilnehmer erzählen von profunden mystischen Erlebnissen«, sagt Richards. Bei den meisten Probanden verliefen diese entlang ihrer Religionszugehörigkeit, mit der entsprechenden Symbolik wie bei Dov. Aber manche berichteten auch von »breiteren, spirituellen Erfahrungen, einer Art universellen Wahrnehmung des Göttlichen«.
Probanden Die Wirkung ist offenbar nachhaltig. »Die Probanden sind, zumindest nach Aussage von Freunden und Familienangehörigen, selbst mehrere Wochen nach dem Experiment toleranter, mitfühlender und gelassener.«
Vereinzelt berichten Teilnehmer aber auch von schlechten Trips, von Angst und Beklemmung. Grundsätzlich seien psychedelische Drogen nicht für jeden geeignet, warnt der Forscher. Wer beispielsweise unter Psychosen leide, unter Schizophrenie oder bipolaren Störungen, wer Psychopharmaka einnehme oder einen Gehirntumor habe, sollte die Finger von psychedelischen Drogen lassen.
Das heiße jedoch nicht, dass diesen Menschen die spirituelle Erleuchtung versagt bleibe. »Eine mystische Erfahrung, wie sie bisweilen bei Konsum von Drogen dieser Art geschieht, kann auch spontan passieren.« Bei der Meditation zum Beispiel, beim Fasten oder bei einer natürlichen Geburt. »In all diesen Situationen kommt es offenbar zu einer ähnlichen biochemischen Reaktion«, sagt Richards. Wie genau diese abläuft, sei bislang kaum bekannt.
CT-Scans zeigten, dass bestimmte Regionen im Gehirn bei der Stimulation durch ein spirituelles Erlebnis stärker durchblutet werden. »Wir stehen noch ganz am Anfang einer unglaublich aufregenden Forschungsreise.«
Geschichte Gott in der Pille – die Idee ist nicht neu, auch nicht im Judentum. Da ist die Geschichte von Ram Dass, einem ehemaligen Harvard-Professor, der zum spirituellen Hindu-Lehrer wurde. Geboren wurde er als Richard Alpert in eine jüdisch-bürgerliche Familie. Der Vater war Anwalt und Mitbegründer der renommierten Brandeis-Universität in Boston. Gemeinsam mit Rabbi Zalman Schachter-Shalomi, einem der einflussreichsten Vertreter der Jewish-Renewal-Bewegung, experimentierte Alpert in den 60er-Jahren mit LSD und anderen bewusstseinsverändernden Drogen. Nach ungefähr 400 Trips, so erzählte er der Times of Israel, habe er sich schließlich seinen jüdischen Wurzeln verbunden gefühlt.
Schachter-Shalomi bat damals Menachem Mendel Schneerson, den legendären Rebben der Chabad-Bewegung, um seinen Segen für einen geplanten LSD-Trip – und der orthodoxe Rabbiner wünschte ihm völlig unbeeindruckt »L’Chaim« für ein gutes Gelingen und spirituelle Erleuchtung.
Auch Shlomo Carlebach, deutsch-amerikanischer orthodoxer Rabbiner, Sänger von jüdischem Folkrock und Kollege von Bob Dylan und Joan Baez, war einem gelegentlichen Drogentrip nicht abgeneigt. Der junge Rabbi Dov aus Philadelphia hat also durchaus prominente Vorbilder.
Doch Don Seeman winkt ab. Der Religionswissenschaftler an der Emory-Universität in Atlanta will die Bedeutung von bewusstseinsverändernden Drogen für das Judentum nicht überbewerten. »Juden sind Mitglieder der Gesellschaft«, sagt Seeman, der über jüdische Mystik forscht. »Und deshalb sind sie auch nicht immun gegen soziale Trends«, wie zum Beispiel die Hippie-Bewegung der 60er-Jahre. »Aber Drogen waren und sind kein essenzieller Teil des jüdischen religiösen Lebens.«
Das Judentum sei enorm vielfältig, sagt Seeman weiter. »Es hat im Judentum immer rationale und mystische Strömungen wie die Kabbala oder bestimmte chassidische Richtungen gegeben.« Gemeinsam sei allen das strenge Studium der Tora – »und das ist eine ziemlich nüchterne Disziplin. Die kann man nicht ausüben, wenn man volltrunken oder high ist.« Ein Glas Wein oder ein gelegentlicher Joint mit Freunden – das sei eine andere Sache, betont Seeman, das seien soziale Gewohnheiten, die nichts mit dem Praktizieren religiöser Rituale zu tun hätten.
Tatsächlich verbietet es die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, unter dem Einfluss von Alkohol zu beten. Zwar gebe es keine Bestimmung, die sich explizit auch gegen die Einnahme bewusstseinsverändernder Drogen richte, sagt Rabbi Jack Abramowitz von der Orthodoxen Union (OU), der Dachorganisation orthodox-jüdischer Gemeinden in den USA. »Aber ich gehe davon aus, dass wir diese Praxis ablehnen.«
Orthodoxe Juden strebten zwar stets danach, näher zu Gott zu kommen, das göttliche Wirken tiefer zu durchdringen, sagt er. »Aber das geschieht durch das Studium der Schriften – und nicht mithilfe chemischer Substanzen.« Im Übrigen, betont Rabbi Abramowitz weiter, verpflichte die Bibel die Menschen dazu, ihr Leben und ihre Gesundheit zu schützen. Und da stellten Drogen eine potenzielle Gefahr dar und seien allein schon deshalb, theoretisch zumindest, verboten.
Rabbi Dov kennt all diese Argumente. Und hält ihnen entgegen, dass das Judentum zugleich ja die Menschen auch dort abholen wolle, wo sie gerade seien, sagt er. Dann hebt er Daumen und Zeigefinger, die einen imaginären Joint halten – und setzt leise hinzu: »L’Chaim!«