Die Wutbürger von Lemberg sind nicht sonderlich zahlreich: Mit gedruckten Transparenten steht das Grüppchen vor dem Wellblechzaun, der die Fedorowa-Straße, eine enge Kopfsteingasse in der malerischen Altstadt, absperrt. »Schützen wir ukrainisch-jüdisches Kulturerbe«, steht auf einem Schild, das ein Mann mit Schirmmütze den Reportern des Lokalfernsehens entgegenstreckt. Auf einem anderen liest man: »Zerstört nicht, was ihr nicht gebaut habt!«
Investoren Die Sorgen sind berechtigt: Hinter dem Zaun gähnt seit Ende 2010 eine Baugrube. Hier entsteht ein Luxushotel, rechtzeitig zur Fußball-Europameisterschaft im kommenden Frühjahr. Die Investoren wittern gute Geschäfte mit betuchten Gästen aus dem Westen.
Schon seit zwei Jahren putzt sich die Stadt an vielen Stellen für das Großereignis heraus. Bröcklige Fassaden werden restauriert, in mittelalterlichen Gemäuern eröffnen schicke Cafés und Geschäfte. Auch in der Fedorowa-Straße wurde bis vor Kurzem Tag und Nacht im Erdreich gewühlt. Doch jetzt stehen die Bagger still. Ein Gericht hat einen Baustopp verhängt.
Die Baustelle grenzt unmittelbar an ein UNESCO-Weltkulturerbe: die Ruine der Synagoge »Goldene Rose«. Sie war 1942 während der deutschen Okkupation niedergebrannt worden. Lediglich ein paar Grundmauern und die Nordwand mit zwei Spitzbögen und zugemauerten Fenstern sind erhalten geblieben.
Das 1582 vollendete Bethaus war bis zum Zweiten Weltkrieg die älteste Lemberger Synagoge. Ihren Namen verdankt sie einem Streit: Bis Mitte des 16. Jahrhunderts erlaubte der polnische König den Juden, Bethäuser zu bauen. Dann setzte sich die katholische Kirche durch und schränkte den Synagogenbau ein. Um 1600 brachten Lemberger Jesuiten die Synagoge in ihren Besitz. Doch dank der Vermittlung von Rosa, der Schwiegertochter des Gemeindevorsitzenden Isaak Nachmann, wurde das Gebäude 1609 an die Gemeinde zurückgegeben.
Seit 1992 erinnert eine Gedenktafel auf Ukrainisch, Englisch und Jiddisch an die alte Synagoge. Für die Gemeinde ist es ein besonderer Ort: Regelmäßig fanden in den vergangenen Jahren zwischen Eingang, Nordwand und Zaun Gebete und Gottesdienste statt. Jetzt stapfen hier Bauarbeiter durch den Matsch.
Demo Mitten auf der Baustelle hat Rabbiner Meylach Scheychet sein Büro. Der Ukraine-Chef der Union of Councils of Jews of the Former Sovjet Union kämpft seit 20 Jahren für die wenigen erhaltenen Zeugnisse des reichen jüdischen Lebens in seiner Heimatstadt. Scheychet hat auch die kleine Demo organisiert. Er ist überzeugt: Nur weil lokale Behörden wegsehen, haben die Investoren überhaupt die Genehmigung für einen Hotelbau in einer historischen Denkmalschutzzone bekommen.
Das erzählt Scheychet bereitwillig auch ausländischen Journalisten. Einer schrieb daraufhin vergangene Woche, Bulldozer seien dabei, die Ruinen der Goldenen Rose zu zerstören. Bislang entspricht dies glücklicherweise nicht der Wahrheit. Doch Agenturen weltweit griffen die beunruhigende Nachricht auf.
Lembergs Bürgermeister Andriy Sadovy, der viel auf das moderne, weltoffene Image der westukrainischen Metropole hält, schäumte vor Wut: Er dementierte, dass es Beschädigungen an den Synagogenresten gebe. »Die Bauarbeiten sind gestoppt«, verkündete der 44-Jährige Ende vergangener Woche. Auch die Chefin der Lemberger Denkmalschutzbehörde, Lilija Onyschtschenko, versuchte zu beruhigen: Die Goldene Rose sei nicht von Zerstörung bedroht. Jetzt gehe es darum, die während der Erforschung des Baugeländes gemachten unterirdischen Funde zu konservieren.
Archäologen haben eine Mikwe und eine Schächterei entdeckt. Diese sind der Hotelgarage im Weg. Schwer vorstellbar, dass der Investor in der verwinkelten Altstadt auf den Bau der Tiefgarage verzichtet. Rabbi Scheychet bezweifelt, dass die Stadtväter genug politischen Willen dafür aufbringen werden, den Bauherrn zu diesem Schritt zu bewegen. Schließlich sind nicht wenige Kommunalpolitiker selbst an lukrativen Grundstückdeals beteiligt.
Nachtklubs Der Wirbel um die Goldene Rose sorgt für Nervosität: Die Ukraine fürchtet um ihr Image, weniger als ein Jahr vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft. Sogar Hanna German, die aus Lemberg stammende, einflussreiche Beraterin des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowytsch, appellierte an die Investoren, das Hotel-Projekt zu stoppen: »Sie werden nichts Gutes damit ernten!«
Die Bolschewiken hätten auf den Grundmauern zerstörter Kirchen und Friedhöfe Nachtklubs gebaut und auf den Knochen getanzt. Die Goldene Rose hätten aber auch sie unangetastet gelassen. »Wollen Sie noch größere Barbaren sein?«, fragte German über die Medien rhetorisch.
Doch trotz der starken Worte sind die Reste der Goldenen Rose noch nicht aus der Gefahrenzone. Kenner des postsowjetischen Landes wissen: Baustopps bedeuten nicht automatisch, dass auch wirklich aufgehört wird zu bauen.
Angesichts überbordender Bürokratie und Korruption entscheiden sich Geschäftemacher gerne mal dafür, mit dem Bagger Fakten zu schaffen. Später Bußgelder für einen gewinnbringenden Schwarzbau zu bezahlen, erscheint vielen lukrativer, als sich im oft jahrelangen Kampf um Genehmigungen zu verschleißen. Hinzu kommt, dass in der Ukraine auch Gerichtsurteile käuflich sind. Es wäre gut möglich, dass die Berufungsinstanz den Hotelbauern bald wieder grünes Licht gibt.