Es mag in der jüdischen Community unterschiedliche Meinungen zu Barack Obama geben – doch wusste man bei ihm wenigstens, was seine Politik war. Hinter Donald Trump sehen viele Juden in Amerika ein großes Fragezeichen. Nur 24 Prozent der jüdischen Wähler haben für ihn gestimmt.
Konkrete Schritte, wie die Ernennung des Hardliners David Friedman zum neuen Botschafter in Israel, stoßen in der jüdischen Gemeinschaft auf verhaltene Reaktionen. Die Republikanische Jüdische Koalition begrüßte Friedmans Ernennung, doch man mache sich Sorgen, schrieb die New York Times. Er stehe »außerhalb des Mainstreams«, sagte der demokratische Abgeordnete Jerrold Nadler.
Wut-Tweet Wie unberechenbar die Zukunft ist, bewies Trump vergangene Woche mit seinem Wut-Tweet über das geleakte Russland-Dokument. Trump verdächtigte US-Geheimdienste und fragte: »Leben wir in Nazi-Deutschland?«
In den Medien empörte man sich, und Jonathan Greenblatt von der Anti-Defamation League verurteilte den »unangebrachten Vergleich«, der den »Horror des Holocaust verniedlicht«. Doch die Provokation hat funktioniert. Trump bestimmte wieder einmal das Thema.
Republikanische Politiker antworten auf Kritik gern mit dem Hinweis, die Unzufriedenen sollten sich endlich mit ihrer Niederlage abfinden. Ab dem 20. Januar heiße es »Präsident Donald Trump«.
Die große Zeremonie der Amtseinführung ist als Versinnbildlichung der Demokratie gedacht. Untermauert wird der »friedliche Machttransfer« mit Gebeten. Trump stellt einen neuen Rekord auf: Er hat gleich sechs Geistliche eingeladen! Unter ihnen ist auch ein Rabbiner. Schon der erste Präsident, George Washington, lud einst einen Rabbiner zur Amtseinführung ein. Danach gab es eine lange Pause: Erst 1949 bat wieder ein Präsident, Harry Truman, einen Rabbiner zum Gebet. Seitdem haben Rabbiner für Dwight Eisenhower, John F. Kennedy, Lyndon Johnson, Richard Nixon und Ronald Reagan gebetet.
Das Gebet bei der Amtseinführung sei immer etwas problembeladen für die Geistlichen, sagt Kevin Kruse, Professor für amerikanische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Princeton University. Beten sie für die Nation, »oder stellen sie sich parteiisch auf die Seite des neuen Präsidenten«? Bei Trumps Amtseinführung muss Rabbi Marvin Hier, der Gründer des Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, dieses Problem lösen.
Im Fernsehsender Fox sagte Hier, er gehöre nicht zu den Leuten, die nach Trumps Wahlsieg sagen: »Jetzt leben wir in einem dunklen Zeitalter.« Amerikas beste Jahre kämen noch. Er unterstütze Trumps Haltung zu Israel, und er werde weiterhin gegen Vorurteile Stellung beziehen, so Hier. Nach eigenen Angaben ist er seit vielen Jahren mit den Eltern von Trumps Schwiegersohn und Berater Jared Kushner befreundet.
Kritik Dass Hier Trumps Einladung annahm, hat in der jüdischen Community für viel Kritik gesorgt. Dies steht geradezu symbolisch für die Unsicherheit beim Umgang mit einem Präsidenten Trump. Hiers Zusage habe ihn schockiert, schrieb der Politologe Peter Dreier auf salon.com. Der Rabbi sei schließlich Dean des Museum of Tolerance im Wiesenthal Center. Laut Webseite will das Museum seine Besucher auch »mit allen Formen von Vorurteilen und Diskriminierung heute konfrontieren«. Trump sei im Wahlkampf eine »Stimme für Vorurteile, Hass und Intoleranz« gewesen, beklagt Dreier.
Mehr als 3000 jüdische Amerikaner haben einen Brief an Hier unterzeichnet. Sie seien besorgt, seine Teilnahme werde der »gefährlichen und hasserfüllten Regierung Trump« zu Akzeptanz verhelfen.
Ein Kommentar in der Zeitung »The Algemeiner« stellte dagegen die Frage, in »wie vielen Nationen außer Israel ein Rabbiner bei der Amtseinführung eines nationalen Führers zum Segnen eingeladen wird«. Und die Autorin Bethany Mandel schrieb im Forward, es sei in den kommenden Monaten, »bevor wir wissen, was für ein Präsident Donald Trump sein wird«, für jüdische Organisationen wichtig, Kontakt zu ihm zu halten.
Als die Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations (CoP) im Dezember zu einer Chanukkafeier einlud, blieben mehrere jüdische Verbände fern. Stein des Anstoßes war die Location: Die CoP hatte Räume im Trump International Hotel in Washington gemietet. Der Präsident des jüdischen Migranten-Hilfsverbandes HIAS, Mark Hetfield, sagte der Jewish Telegraphic Agency, er wolle wegen der Ungewissheit über Trumps Flüchtlingspolitik nicht in einem Hotel feiern, das »nach ihm benannt ist und von dem er profitiert«.
Protest Am 21. Januar, einen Tag nach Trumps Amtseinführung, wollen sich Zehntausende, wenn nicht gar Hunderttausende Frauen zum »Women’s March on Washington« versammeln. Aufgerufen sind alle, die mit Menschen solidarisch sind, die Trump im Wahlkampf beleidigt und bedroht habe, sowie das Prinzip vertreten, dass Frauenrechte Menschenrechte sind, so der Veranstalter. Der National Council of Jewish Women und mehrere weitere jüdische Verbände werden dabei sein. So treffen sich in der historischen Sixth & I Synagogue in Downtown Washington Teilnehmerinnen zum Toralernen.
In einer Zeitungsanzeige haben rund 50 Rabbiner an Trump appelliert, seine Rhetorik zu überdenken und »auf die Stimmen aller Menschen zu hören, die in diesem großen und pluralistischen Land leben«.
Mitte Oktober erschien in dieser Zeitung unter der Überschrift »Trump? No way!« ein Beitrag über den Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Der Artikel zitierte den 91-jährigen Weltkriegsveteranen Joel Sollender, der sich entsetzt über Trumps Häme gegen US-Kriegsgefangene äußerte, weil diese »keine Helden« seien. Trump bevorzuge »Leute, die nicht gefangen genommen worden sind«. Sollender war 1944 in Frankreich in Kriegsgefangenschaft geraten und hatte Angst, die Nazis würden das »H« für Hebrew auf seiner GI-Erkennungsmarke entdecken.
Sollender ist wenige Tage vor Jahresende 2016 gestorben. Seine Witwe Dorothy Sollender sagte der Los Angeles Times, Trumps Wahlsieg habe Joel »am Boden zerstört«. Präsident sei »das kostbarste Amt in diesem Land«, hatte der alte Mann in der Jüdischen Allgemeinen gesagt. Es dürfe nicht in die Hände von Donald Trump fallen.