Das neue Jüdische Museum in Warschau hat einen Wettbewerb ausgeschrieben: »Erzähl uns deine Geschichte!«, fordert es auf einem eigenen Internetportal. Der erste Durchgang ist vergangene Woche zu Ende gegangen. Doch das Projekt wird fortgesetzt und der nächste Wettbewerb sicher schon bald ausgeschrieben.
Die besten polnisch-jüdischen Geschichten werden für ein Jahr in der Hauptausstellung des Museums gezeigt. Gemäß den Legenden rund um »Polin«, was auf Hebräisch sowohl »Hier ruhe aus« als auch »Polen« bedeutet, können wahre oder erfundene Geschichten eingereicht werden: Träume, Reflexionen, Erzählungen der Großeltern, Reiseberichte, Foto- oder Filmreportagen, Hörspiele – alles rund um das Thema »Polin«.
initiatoren Rund 100 Juden und Nichtjuden aus aller Welt haben das Portal genutzt, um mit ihren ganz persönlichen Geschichten die große polnisch-jüdische Erzählung fortzuführen. »Polen und Juden«, so schreiben die Initiatoren des Wettbewerbs, »teilen sich seit knapp 1000 Jahren die gleiche Erde ... Dabei profitieren sie vom Reichtum der jeweils anderen Kultur, deren Erfahrungsschatz und auch der nicht selten abweichenden Weltsicht der anderen.«
Heute lebten polnische Juden nicht nur im Land ihrer Vorfahren, sondern seien über die ganze Welt verstreut. »Auch du kannst Teil dieser Erzählung sein«, wenden sich die Museumspädagogen direkt an die Leser des Polin-Portals, »denn sie wird von Menschen geschaffen, die sich für die jüdischen Traditionen und das jüdische Kulturerbe interessieren.«
Drei Polin-»Botschafter« sollen das Projekt in die Welt hinaustragen und populär machen: der amerikanische Fotograf Chuck Fishman, der seit 1989 das jüdische Leben im Land mit der Kamera dokumentiert, außerdem Slawomir Grünberg, der 1981 aus Polen in die USA emigrierte und seitdem etliche Dokumentarfilme zur jüdischen Geschichte und Gegenwart Polens drehte. Und schließlich Katka Reczke-Grünberg, die sich schon für das Judentum interessierte, bevor sie herausfand, dass sie selbst jüdische Vorfahren hat. Mit ihrem Buch über die sogenannte dritte Generation polnischer Juden reist sie vor allem durch Amerika.
kaleidoskop Die kurzen Texte, Filme und Anekdoten, die bislang auf dem »Stories of Polin«-Portal veröffentlicht wurden, spiegeln wie in einem Kaleidoskop die bunten Facetten einer wiederentdeckten Kultur wider: Eine Kinderband aus Bialystok schmettert begeistert jiddische Lieder. Ein Mann erinnert sich an das Jahr 1968, an seine Verzweiflung und Trauer, als er als junger polnischer Jude seine Heimat verlassen muss, seine Freunde auf dem Bahnhof noch einmal umarmt – und abfährt. Ein Hörgenuss ist das jiddische Schabbeslied »Lekoved dem heylikn szabes« des jüdischen Chors »Clil«.
Henryk, der nur seinen Vornamen nennt, berichtet, dass er als Kind zum ersten Mal über einen Film von Woody Allen mit jüdischer Kultur in Berührung kam. Der nächste Schritt sei ein Roman gewesen, den er als Pflichtlektüre in der Schule lesen musste, dann Texte über die aktuelle Situation von Juden und die Stereotype ihnen gegenüber. Schließlich habe er sich immer mehr interessiert, insbesondere für die Geschichte der Juden in der eigenen Stadt. Dann habe er Juden kennengelernt. Und heute sagt er: »Ich wünsche mir, dass ihr Stolz auf die eigene Identität und Kultur für alle so selbstverständlich ist wie für mich.«
www.storiesofpolin.com