Als im Juli 2024 die Labour-Partei die britischen Nationalwahlen gewann und Keir Starmer neuer Premierminister wurde, war dies auch ein großer Moment für die britischen Jüdinnen und Juden. Mit dem Labour-Chef zogen sechs neue jüdische Abgeordnete ins britische Unterhaus ein, zusätzlich zu fünf weiteren, die wiedergewählt worden waren, darunter drei von Labour sowie ein Politiker der Konservativen.
Eine der neuen Labour-Parlamentarierinnen ist – ungewöhnlich für frisch gewählte Abgeordnete – bereits Staatsministerin: Sarah Sackman. Schon bei ihrem Amtsantritt als Abgeordnete wurde die 40-jährige Politikerin zum »Solicitor General für England und Wales« ernannt, einer Position direkt unter dem Generalstaatsanwalt. Anfang Dezember beförderte Premier Starmer sie zur Staatsministerin für Gerichte und Rechtsdienste im Justizministerium.
Vor ihrer politischen Karriere war Sarah Sackman Anwältin und arbeitete in der Kanzlei Matrix Chambers, die einst von Cherrie Blair mitgegründet worden war, der Frau des früheren Premierministers Tony Blair. Dort bearbeitete sie Menschenrechts- und Umweltfälle. Von den jeweiligen Labour-Regierungen unter Tony Blair und Gordon Brown hielt sie viel: »Ich habe immer geglaubt, dass Labour in den Blair-Brown-Jahren etwas war, worauf man stolz sein konnte, wenn sie etwa Millionen Kinder aus der Armut holten«, sagte sie der britisch-jüdischen Wochenzeitung »Jewish Chronicle« (JC).
In ihrem neuen Amt untersteht die jüdische Staatsministerin der muslimischen Justizministerin Shabana Mahmood. Das mag hinter verschlossenen Türen zu interessanten Diskussionen führen. Mahmood unterstützte in ihrer Vergangenheit propalästinensische Proteste und BDS-Aufrufe, während Sackman einst über ein Stipendium eine Verwaltungstätigkeit am Obersten Gerichtshof in Israel innehatte.
Wenig überraschend setzt sich Sackman für den vollständigen Erhalt der israelischen Justiz als fundamentale Säule der Demokratie ein und ist der Regierung Netanjahu gegenüber dementsprechend kritisch eingestellt. Nachdem Israels Premierminister nach den Wahlen von Ende 2022 mithilfe einiger rechtsextremer Politiker erneut eine Regierungskoalition bilden konnte, glaubte Sackman zunächst, dass deren Rhetorik gegenüber Schwulen, Liberalen und palästinensischen Bürgern Israels keine »Zugkraft« haben werde.
Das Ziel einer britischen Labour-Regierung unterdes sei jedoch, die Beziehungen zu Israel aufrechtzuerhalten – und gleichzeitig für Friedensverhandlungen mit den Palästinensern einzutreten, sagte sie dem »Jewish Chronicle«: »Ein wahrer Freund ist ein Freund, der bereit ist, sich kritisch zu äußern.« In einem anderen Interview äußerte sie bezüglich der Anklagen des Internationalen Gerichtshofs, dass sie dem israelischen Volk vertraue, seine Führung zur Verantwortung zu ziehen.
In ihrem neuen Amt untersteht sie einer muslimischen Justizministerin.
Sackman vertritt mit dem Bezirk Finchley and Golders Green im Norden Londons den Wahlkreis mit dem größten jüdischen Bevölkerungsanteil Großbritanniens. Etwa 20 Prozent aller Wahlberechtigten sind dort jüdisch. Als die Labourpolitikerin hier gewann, löste sie den konservativen, 14 Jahre amtierenden Abgeordneten Mike Freer ab, der nach einem Brandanschlag auf sein Wahlbüro nach dem 7. Oktober 2023 seinen Rückzug aus der Politik zu den nächsten Wahlen angekündigt hatte. Bereits 2015 hatte Sackman versucht, den Wahlkreis zu gewinnen, doch Freer konnte sich damals mit einem Vorsprung von rund 5000 Stimmen halten.
Dem einstigen Labour-Chef Jeremy Corbyn gegenüber zeigte sich Sackman in ihrer Wahlnachtrede durchaus kritisch: Unter ihm sei Labour vom Weg abgekommen und habe vor allem die jüdische Gemeinschaft im Stich gelassen. Sackman war als stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Arbeiterbewegung Jewish Labour Movement (JLM) zwischen 2015 und 2024 neben dem Vorsitzenden Mike Katz sogar eine der wichtigsten Akteurinnen, die sich gegen den Antisemitismus in der eigenen Partei wehrten und eine Untersuchung der britischen Menschenrechts- und Gleichberechtigungsorganisation einleiteten.
Diese stellte nach einjähriger Untersuchung fest, dass Labour unter Jeremy Corbyn tatsächlich ein Antisemitismus-Problem hatte. Heute, unter Keir Starmer, sei dies anders, behauptet Sackman. Die Partei sei wieder zu einem sicheren Ort für Jüdinnen und Juden geworden. Als Sackman schließlich in diesem Jahr mit 21.857 Stimmen (44,3 Prozent) gegen den konservativen Kandidaten Alex Deane gewann, lobte sie dennoch ihren Vorgänger – es hätte nie dazu kommen dürfen, dass sich Mike Freer aufgrund seiner persönlichen Bedrohungslage dazu genötigt sah, sich zurückzuziehen.
Sackman wuchs selbst in dem Wahlkreis auf, den sie heute vertritt. Sie besuchte eine Privatschule und studierte zunächst Literatur in Cambridge, bevor sie zum Jurastudium wechselte, das sie mit einem Magister in Harvard abschloss.
Jeremy Corbyn habe die jüdische Gemeinschaft im Stich gelassen, erklärte Sackman.
Sarah Sackman ist nicht die erste Politikerin in ihrer Familie. Ihr 2015 verstorbener Großvater war Hafen- und Tourismusminister in Gibraltar. Er lebte nicht nur an der Südspitze der Iberischen Halbinsel, wo die Geschichte der Familie 300 Jahre zurückreicht und ihre Vorfahren lange Zeit eine Parfümerie führten, sondern auch in Jerusalem und wurde später Israels Botschafter auf den Philippinen. Andere von Sarah Sackmans Vorfahren stammen aus Spanien, Italien und Marokko. Ihr Vater ist Rechtsanwalt, seine Familie wiederum hat osteuropäische Wurzeln.
Anders als der ehemalige Labour-Parteiführer und heutige Umweltminister Ed Miliband, der zwar jüdischer Herkunft ist, aber vollkommen säkular lebt, sagt Sackman, sie praktiziere ihr Judentum. Sie hat in der berühmten Bevis-Marks-Synagoge geheiratet und ist aktives Mitglied einer Nordlondoner egalitär-konservativen Masorti-Gemeinde, wo ihre Kinder den Cheder besuchen und sie zuweilen den Kindergottesdienst leitete. Im Gespräch mit dem »Jewish Chronicle« bekannte Sackman: »Jüdische Werte wie das Gebot der sozialen Gerechtigkeit sind ein unauslöschbarer Teil meines Lebens in der Politik.«