Wenn es um Roald Dahl geht, fängt es im Hirn an zu knirschen. Wie soll man am Kinderbett sitzen und Matilda vorlesen, wenn bekannt ist, dass der britische Autor ein rasender Antisemit war? Wie die großartige Verfilmung von Charlie und die Schokoladenfabrik mit Gene Wilder genießen, wenn man doch weiß, dass der Erfinder dieser wunderbar-grotesken Welt Gene Wilder ablehnte, nur weil er Jude war?
Der jüdische Dramatiker Mark Rosenblatt hat genau diese Gedanken zu einem Theaterstück gemacht. Giant (Gigant) verhandelt Roald Dahls Judenhass und den Versuch der Welt, einen ihrer beliebtesten Kinderbuchautoren aller Zeiten zu entschuldigen. Und es ist so gelungen, dass seinen Machern nun gleich drei Mal die höchsten Theaterehren des Landes zuteilwurden.
Die Olivier Awards, benannt nach der Bühnenlegende Laurence Olivier, sind das britische Pendant zu den Tony Awards in den USA und den Molières in Frankreich. Giant gewann den Hauptpreis als bestes Theaterstück, Hauptdarsteller John Lithgow wurde als bester Schauspieler geehrt und sein Kollege Elliot Levey als bester Nebendarsteller. Selten haben Mut und Theaterkunst in einer zunehmend düsteren Zeit so erfolgreich zusammengefunden.
Szenenbild ist ein fiktives Mittagessen im Jahr 1983 auf Dahls Landsitz in Buckinghamshire, wo zwei jüdische Verleger, besorgt um die Marktchancen des nächsten Buches, versuchen, den gefeierten Autor zu einer Entschuldigung zu bewegen für einen Essay, in dem dieser – vor dem Hintergrund der verbreiteten Kritik an Israels Einmarsch in den Libanon im Jahr zuvor – gerade Juden mit Nazis gleichgesetzt hatte.
In Interviews dem Hass freien Lauf gelassen
Auch in Interviews ließ der reale Dahl seinem Hass gern freien Lauf: »Es gibt einen Zug im jüdischen Charakter, der Feindseligkeit hervorruft, vielleicht ist es eine Art Mangel an Großzügigkeit gegenüber Nichtjuden. Ich meine, es gibt immer einen Grund, warum irgendwo Anti-Irgendwas auftaucht; selbst ein Stinker wie Hitler hat sich nicht grundlos an ihnen vergriffen«, sagte er dem »New Statesman«. Noch kurz vor seinem Tod 1990 bezeichnete er sich selbst als Antisemiten und führte im »Independent« aus: »Wir alle wissen über Juden und den Rest Bescheid. Es gibt nirgendwo nichtjüdische Verleger, sie kontrollieren die Medien.«
Rosenblatt hat Giant vor den Massakern des 7. Oktober 2023 und dem daraus resultierenden Krieg Israels gegen die Terrororganisation Hamas geschrieben, seit denen der Hass auf Juden auch in der gesellschaftlichen Mitte offen formuliert wird. Darin sieht der Londoner eine erschreckende Wiederholung der Anti-Israel-Rhetorik von damals. Als britischer Jude sei er »alarmiert darüber, wie offen antisemitische Sprache und Stereotypen mit einer sinnvollen, konstruktiven Debatte über Israel und Palästina verschwimmen«, sagte der Bühnenautor dem »Guardian«.
Giant solle eine Plattform für eine solche Diskussion bieten. Er habe Dahl als Thema gewählt, weil die Menschen trotz allem eine geradezu »liebevolle Beziehung« zu dem Autor hätten, zitiert ihn die »Times«. Tatsächlich wird Dahl weiterhin gefeiert, vergöttert und lukrativ adaptiert. Sein Name verkauft nach wie vor Millionen von Büchern. Bis heute bringen Kinder Blumen an sein Grab, und 1996 wurde ein Asteroid nach ihm benannt.
Es sei schwer zu sagen, wann am Royal Court Theatre zuletzt ein Stück zu sehen war, das zugleich »so gefährlich und spektakulär gut« sei, freut sich der Kritiker des »Standard«. Und der jüdische Autor David Baddiel bringt seine Meinung in der Times auf den Punkt: »Roald Dahl war ein geistreiches, charmantes Genie – und ein Monster.«