Mitte November wurde Pedro Sánchez vom spanischen Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt. Keinen Monat später ist es ihm gelungen, die Beziehungen zwischen Spanien und Israel auf einen Tiefpunkt zu bringen. Das Verhältnis zwischen beiden Staaten befinde sich im »fragilsten Zustand seit 1986, als beide Länder diplomatische Beziehungen aufgenommen haben«, beklagt der Verband der Jüdischen Gemeinden Spaniens (FCJE).
Der Krieg in Israel infolge des terroristischen Massakers der Hamas am 7. Oktober nimmt auch großen Einfluss auf das jüdische Leben in Spanien. Rund 45.000 Juden leben hier. In Madrid, Barcelona und Melilla gibt es jüdische Schulen. Neuerdings sei es notwendig, dass diese von den Sicherheitsbehörden bewacht werden.
»Es gibt Kinder, die Angst haben zu sagen, dass sie Juden oder Israelis sind. Es gibt Kinder, die auf der Straße beschimpft oder belästigt werden, weil sie jüdisch oder israelisch sind«, meldet der FCJE. Man beobachte eine »Zunahme des Antisemitismus«, wie er seit Jahrzehnten nicht mehr zu sehen war.
Verstärkter Schutz jüdischen Lebens
Doch hat der verstärkte Schutz jüdischen Lebens nicht abwenden können, dass in der spanischen Enklave Melilla Hunderte Randalierer eine Synagoge attackierten, während die Gemeinde drinnen betete. Die Polizei konnte Schlimmeres verhindern. In Barcelona wurden vier Personen nach einem propalästinensischen Protest festgenommen, bei dem kurzzeitig ein Hotel besetzt wurde, das einem israelischen Investor gehört.
Gleichzeitig wurde im Rathaus darüber abgestimmt, die Beziehungen zwischen der Hauptstadt Kataloniens und Israel einzufrieren. Dafür stimmte auch die Partido de los Socialistas de Cataluña, die Schwesterpartei von Sánchez’ Partei Partido Socialista Obrero Español.
Eine Ministerin wirft Israel Genozid in Gaza vor und wird nicht korrigiert.
Der Verband der jüdischen Gemeinden Spaniens ist in »großer Sorge«, was der Krieg in Israel für das jüdische Leben in Spanien bedeuten werde. Isaac Benzaquén, der Vorsitzende des FCJE, betont, dass die Beziehungen zwischen den jüdischen Gemeinden und der Regierung eigentlich sehr eng seien. Allerdings bedeute dies nicht, dass zwischen dem FCJE und Sánchez Einigkeit herrsche, wenn es um den Nahost-Konflikt geht.
Die israelische Botschafterin hat Madrid vorübergehend verlassen
In einem jüngst veröffentlichten Statement bekräftigt der FCJE, dass man Israel, »ein Land, das um sein Überleben und gegen den schlimmsten Terrorismus kämpft«, gerade nicht kritisieren sollte. Die israelische Botschafterin hat Madrid vorübergehend verlassen, nachdem Sánchez öffentlich »ehrliche Zweifel« angemeldet hatte, ob »Israel im Kampf gegen die Hamas das Völkerrecht« respektiere.
Und Spaniens Ministerpräsident erhob weitere Vorwürfe gegen Israel. Nach einem Besuch in der Region behauptete er, Israel betreibe in Gaza das »willkürliche Töten unschuldiger Zivilisten«, was Israels Regierung sofort empört von sich wies.
Sánchez meinte dann auch noch, dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu erklären zu müssen, wie man die Hamas für sich gewinnen könne. »Wir in Spanien haben auch unter Terrorismus gelitten, und ich bin überzeugt, dass der Terrorismus nicht allein durch Gewalt ausgerottet werden kann«, sagte er bei seinem letzten Treffen mit Netanjahu. Dabei bezog er sich auf die ETA, die separatistische baskisch-nationalistische Untergrundorganisation, die 2018 aufgelöst wurde. In einem halben Jahrhundert hat die ETA mehr als 850 Menschen getötet. Bei ihrem Pogrom am 7. Oktober tötete die Hamas innerhalb eines Tages 1200 Menschen und verwundete mehr als 9500.
Für die Hamas ist Sánchez’ öffentliche, ablehnende Haltung gegenüber Israel ein Triumph. Die Terrororganisation hat die »klare und mutige Position« des Ministerpräsidenten Spaniens sogar ausdrücklich gelobt. Daraufhin sagte Israels Außenminister Eli Cohen, dass Spanien den Terror der Hamas unterstütze. In Sánchezʼ Kabinett sitzen zwei der 21 Europaabgeordneten, die im Oktober gegen die Verurteilung des Terroranschlags der Hamas durch das Europäische Parlament gestimmt haben: Kulturminister Ernest Urtasun und die Kinder- und Jugendministerin, Sira Rego. Beide sind Mitglieder von Sumar, einer links-politischen Initiative, der Yolanda Diaz vorsteht. Sie ist die Vize-Ministerpräsidentin Spaniens sowie Arbeitsministerin.
Sumar-Politiker bei propalästinensischen Demonstrationen
Mehrere Sumar-Politiker wurden nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober in Madrid bei propalästinensischen Demonstrationen gesehen. Auf diesen Demonstrationen wurde auch der Anti-Israel-Slogan »Desde el río hasta el mar, Palestina vencerá« skandiert: »From the River to the Sea, Palestine will be free.«
Politisch steht Sumar der linkspopulistischen Partei Podemos nahe, die ehemalige Koalitionspartnerin von Sánchez in der vorherigen Legislaturperiode. Die Vorsitzende von Podemos ist Ione Belarra. Unter Sánchez war sie Ministerin für Soziale Rechte. Als Belarra in ihrer Funktion als Ministerin sagte, Israel verübe in Gaza einen Genozid an den Palästinensern, korrigierte Sánchez sie nie.
In Madrid gab es nach dem 7. Oktober eine Solidaritätsbekundung aus der Bevölkerung vor der israelischen Botschaft. Doch im Gesamtbild ist die Solidarität mit den Palästinensern in Spanien größer. Das liegt vor allem daran, dass diese Seite im Nahost-Konflikt in linkspolitischen Kreisen schon immer die populäre war.
Zudem hat Israels Recht auf Verteidigung für die spanische Bevölkerung derzeit nicht oberste Priorität, da ein Großteil der Gesellschaft sich gerade gegen die politischen Reformen in Spanien mobilisiert. In Madrid sind Hunderttausende auf die Straße gegangen, um gegen Sánchezʼ Amnestiegesetz für katalanische Unabhängigkeitsbefürworter zu protestieren. Die Stimmen der Befürworter der Unabhängigkeit Kataloniens braucht der Ministerpräsident aber im Parlament, um überhaupt regieren zu können.
Die wichtigsten Oppositionsparteien sind Partido Popular und Vox, die Sánchez für seine Haltung gegenüber Israel auch kritisieren.
Hälfte der spanischen Bevölkerung bewertet Arbeit der Regierung mit »schlecht oder sehr schlecht«
Laut einer jüngsten Umfrage bewertet die Hälfte der spanischen Bevölkerung (50,4 Prozent) die Arbeit ihrer Regierung mit »schlecht oder sehr schlecht«. Nur 28,5 Prozent bewerten Sánchez’ Team positiv. Ob das eine Reaktion auf seine israelkritische Haltung ist, sei dahingestellt.
Die jüdischen Gemeinden Spaniens, insbesondere an Orten, wo die jüdische Gemeinschaft besonders lebendig und deshalb auch sichtbarer ist, fordern von der Regierung »Verantwortung und klare Positionen gegen Antisemitismus und Hassreden gegen Israel«.
Mit seinen Vorwürfen gegen Israel trägt Sánchez jedenfalls nicht dazu bei, dass Juden sich in ihrer spanischen Heimat besonders sicher fühlen.
Der Autor ist spanischer Journalist und lebt in Berlin.