Agunot

Gegen widerspenstige Männer

Wie sich die Europäische Rabbinerkonferenz seit Jahren für Frauen ohne Scheidebrief einsetzt

von Michael Thaidigsmann  31.10.2020 21:06 Uhr

Foto: Getty Images / istock

Wie sich die Europäische Rabbinerkonferenz seit Jahren für Frauen ohne Scheidebrief einsetzt

von Michael Thaidigsmann  31.10.2020 21:06 Uhr

Ein weltliches Gericht verurteilt einen Mann, weil er seinen religiösen Pflichten gegenüber seiner geschiedenen Frau nicht nachkommt – in den meisten Ländern Europas wäre so etwas bislang undenkbar. Und doch geschieht genau das seit einigen Jahren in den Niederlanden.

Dort verhängen Richter bereits seit den 80er-Jahren saftige Geldstrafen gegen Männer, die sich weigern, in die religiöse Ehescheidung einzuwilligen. Es handele sich um ein »unangemessenes soziales Verhalten« gegenüber den geschiedenen Frauen, entschied damals das Oberste Gericht.

halacha Gemäß der Halacha muss ein jüdischer Mann im Falle der endgültigen Trennung seiner bisherigen Frau einen »Get«, einen Scheidebrief, gewähren, bevor die Scheidung auch für die Frau wirksam wird. Sollte er dies verweigern, wird die Betroffene zu einer »Aguna«, wörtlich übersetzt: zu einer in Ketten gelegten Frau. Nach orthodoxer Auslegung des jüdischen Religionsgesetzes darf die Aguna nicht erneut heiraten.

Die Europäische Rabbinerkonferenz (CER) und ihr Präsident, Moskaus Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, setzen sich seit Jahren für die Belange der betroffenen Frauen ein. Das Problem habe sich in den vergangenen Jahrzehnten zwar deutlich entschärft, betont Goldschmidt, sei aber nach wie vor aktuell.

Seien vor 100 Jahren allein in Polen rund 20.000 jüdische Frauen von ihren Männern »in Ketten gelegt« und daran gehindert worden, erneut zu heiraten, gebe es heute, so schätzt der Oberrabbiner, jährlich noch rund 130 bis 200 Agunot in Europa. 30 bis 40 Prozent von ihnen habe man jedoch helfen können.

gefängnisstrafen In Israel sind rabbinische Gerichte befugt, orthodoxe Männer, die ihre Frauen nicht aus der Ehe entlassen wollen, zu sanktionieren. Sie dürfen sogar Gefängnisstrafen aussprechen. Dies galt bislang allerdings nur für israelische Staatsbürger und für jene Männer, die in Israel auch ihren dauerhaften Wohnsitz haben.

In der Diaspora hingegen haben rabbinische Gerichte keine Handhabe, widerspenstigen Männern Druck zu machen – selbst dann nicht, wenn die Rabbiner die Auflösung der Ehe für zwingend erforderlich erachten.

In Israel sind rabbinische Gerichte befugt, orthodoxe Männer, die ihre Frauen nicht aus der Ehe entlassen wollen, zu sanktionieren.

In den Niederlanden wurde die ständige Rechtsprechung der Gerichte im vergangenen Jahr gesetzlich geregelt. Das Gesetz zwingt Männer bei Androhung von Strafe, ihren geschiedenen Frauen den Get zu gewähren.

rechtsmittel Auch in England gibt es Rechtsmittel gegen widerspenstige Männer. Dort kann von Rechts wegen die Wirksamkeit einer zivilen Ehescheidung so lange verzögert werden, bis die betroffene Frau von ihrem Mann aus dem religiösen Bund entlassen wurde. In anderen westlichen Ländern besteht dagegen wegen der Trennung von Staat und Religion keine staatliche Möglichkeit, entsprechende Zwangsmaßnahmen anzuordnen.

2018 verabschiedete die Knesset – auch auf Drängen der CER – eine Gesetzesnovelle, um zumindest vorübergehend die Situation der Agunot in der Diaspora zu verbessern. Die israelische Gerichtsbarkeit wurde dabei auf Nicht-Staatsbürger ausgedehnt, die sich zeitweise in Israel aufhalten.

Vorbedingung ist jedoch, dass zuvor eine zivilrechtliche Scheidung oder ein zivilrechtliches Verfahren durchgeführt wurde und die betroffene Frau erfolglos versucht hat, eine jüdische Ehescheidung vor dem zuständigen Beit Din in ihrem Heimatland zu arrangieren. Nur, falls ihr das nicht gelungen ist oder es kein solches Gericht in ihrem Land gibt, kann der Fall in Israel verhandelt werden.

Auf diese Art konnte 57 Agunot aus der Diaspora geholfen werden. In den meisten Fällen genügte eine einstweilige Anordnung eines Beit Din, die die Get-Verweigerer am Verlassen Israels hinderte, um ausreichend Druck auf die widerspenstigen Männer auszuüben.

Wirkung Die Knesset berät nun, ob das auf drei Jahre befristete Gesetz dauerhaft in Kraft bleiben soll. Es entfalte, so Pinchas Goldschmidt, in manchen Fällen auch eine indirekte Wirkung: Allein die Angst vor einem möglichen Verfahren gegen sie in Israel habe zahlreiche widerspenstige Männer zum Einlenken bewegt.

Man werde das Problem jener Männer in den Griff bekommen, sagte Goldschmidt der Jüdischen Allgemeinen. Die in letzter Zeit ergriffenen Maßnahmen zeigten Wirkung.

Dubai

Emirate melden Festnahmen im Mordfall eines Rabbiners

Israels Außenministerium sprach von einem antisemitischen Terrorakt. Nun veröffentlichen die Behörden in den Vereinigten Arabischen Emiraten Details

von Arne Bänsch  24.11.2024

Osteuropa

Mehr Schein als Sein

Länder wie Polen, Litauen oder Ungarn geben sich derzeit als besonders israelfreundlich und sicher für Juden

von Alexander Friedman  24.11.2024

Vereinigte Arabische Emirate

Dubai: Vermisster Chabad-Rabbiner tot aufgefunden

Israelischen Sicherheitskreisen zufolge gibt es Hinweise, dass der Iran für die Tat verantwortlich ist

 24.11.2024 Aktualisiert

USA

Frum auf High Heels

Die Influencerin Ellie Zeiler jettet um die Welt – neuerdings auch mit Siddur im Gepäck. Millionen verfolgen in den sozialen Medien, wie die junge Frau die Religion für sich entdeckt

von Nicole Dreyfus  24.11.2024

Social Media

Auschwitz-Komitee zieht sich von Plattform X zurück

Überlebende des Holocaust empfinden den antisemitischen Hass auf X als zunehmend bedrohlich

 21.11.2024

USA

Loyal und radikal

Der künftige Präsident Donald Trump vergibt wichtige Ministerposten an Personen, die bislang nicht durch Kompetenz aufgefallen sind, sondern eher durch Kontroversen von sich reden machten

von Michael Thaidigsmann  21.11.2024

Nachruf

Der Vater des Budget-Tourismus ist tot

Arthur Frommer wurde 95 Jahre alt

von Imanuel Marcus  20.11.2024

New York/Malibu

»Mein Name ist Barbra«

Die Streisand-Autobiografie erscheint auf Deutsch

von Christina Horsten  20.11.2024

Schweiz

Konservative Christen gegen den ESC

Eine Minipartei erwirkt ein Referendum gegen das hohe Rahmenbudget für den Eurovision Song Contest. Dabei geht es auch um Israel

von Peter Bollag  19.11.2024