Voll ist das Bermuda-Dreieck in Wien fast immer, wenn der Abend naht. Doch dieser Tage ist es still, trotz der vielen Menschen, die unterwegs sind. In der Seitenstettengasse, die an der Synagoge vorbei zum Kai hinabführt, sieht man die Tatortmarkierungen der Ermittler und ein Meer von Kerzen.
Ein paar Schritte weiter noch mehr Kerzen und Blumen – dort, wo Menschen ums Leben kamen, wo ein Mann am Montag vergangener Woche in Lokale feuerte.
gemeinde Zu Hunderten kommen Menschen, um Blumen, Kerzen oder auch Zeichnungen niederzulegen. »Die Bedrohung ist da«, sagt Michael, der in einem jüdischen Lokal arbeitet und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Auch wenn nicht ganz klar sei, was oder wer genau das Ziel des Terrors war, so ist er überzeugt: Das war ein Anschlag auf die jüdische Gemeinde. »Wien ist so groß«, sagt er, »und es ist genau dort losgegangen – Zufall ist das nicht.«
Zu Hunderten kommen Menschen, um Blumen, Kerzen oder auch Zeichnungen niederzulegen.
Wäre das »Alef Alef« geöffnet gewesen, hätte alles »ganz anders ausgesehen«. Da hätte es dann nicht nur vier Opfer gegeben. Das jüdische Restaurant neben der Synagoge am oberen Ende der Seitenstettengasse war an diesem Abend geschlossen.
Gegenüber dem »Alef Alef« betreibt Dorothy Singer ihre jüdische Buchhandlung. Sie sagt: »Das Ziel war klar − wenn man sich das Bewegungsprofil ansieht. Es war das ›Alef Alef‹ – und an der anderen Ecke bin ich.«
Wenn man in Wien möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit töten wolle, so gebe es andere Orte als die Seitenstettengasse, sagt Singer. Sie hegt eine Vermutung: Sollte der Täter im Juli mit seinen Kumpanen aus Deutschland den Ort ausgekundschaftet haben, so sei um die Tageszeit des Anschlags dort wohl sehr viel los gewesen, viel mehr jedenfalls als am Montag vergangener Woche.
Wachsamkeit Für die jüdische Gemeinde gilt nach wie vor: besser wachsam sein als nachlässig. Die meisten koscheren Supermärkte, Schulen und anderen Einrichtungen sind wieder geöffnet, ebenso die Büros der Kultusgemeinde. Noch in dieser Woche soll es Gespräche zwischen der Gemeinde und den Behörden geben, so Benjamin Nägele, der Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde. Man wolle die Sicherheitsmaßnahmen erneut evaluieren, sagt er.
Für die jüdische Gemeinde gilt nach wie vor: besser wachsam sein als nachlässig.
Zwischen dem Kerzenmeer geht David Meran, eine dicke Rolle Papier unter dem Arm. Er ist Künstler und Kunstpädagoge in einem Gymnasium. Im Unterricht hat er mit seinen Schülern über den Anschlag gesprochen. Eines der Themen auf den Bildern ist, dass Menschen ihre Wohnungen öffneten für Flüchtende, dass Taxifahrer unentgeltlich Leute nach Hause brachten und dass sich Menschen in große Gefahr brachten, um andere zu retten.
»Was auch immer der Täter im Sinn hatte«, sagt Meran, »er hat die ganze Gesellschaft dieses Landes getroffen.«