Der Leiter der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau warnt davor, Auschwitz als etwas Unvorstellbares und Unwiederholbares zu betrachten. »Wer Auschwitz als etwas bezeichnet, das nicht erklärbar ist, versucht, der Realität auszuweichen«, sagte Piotr Cywinski der »Süddeutschen Zeitung« am Freitag im Interview. »Auschwitz ist viel näher, als es scheint. Denken Sie an das, was alles passiert in der Welt, die stupiden Massaker, Kriege oder Genozide.«
Cywinski verwies unter anderem auf die Krieg im Nahen Osten und der Ukraine oder den Umgang mit den Uiguren in China. »Das ist alles nicht so anders als Auschwitz. Der Unterschied ist, dass die Vernichtung in Auschwitz industriell war. Und Auschwitz zeigt: Das geht, man kann das machen, man kann industriell vernichten, man kann diese Maschine bauen.«
Sorge wegen Populismus
Heute sei sogar deutlich weniger Vorbereitungszeit nötig, bis eine Gesellschaft zu solchen Taten bereit sei, warnte der Historiker. »Wir müssen uns nur die neuen Trends in den Medien vergegenwärtigen, die populistischen Politikern Auftrieb geben.«
Mit Sorge blickt Cywinski auf den Erfolg rechtsradikaler Parteien wie der AfD in Deutschland oder der FPÖ in Österreich. Diese Entwicklung wie auch die Zunahme des Antisemitismus seien gefährlich. »Dabei geht es in erster Linie um die Zunahme des Populismus in unseren Gesellschaften. Es ist schwierig, wenn Politiker komplexe Sachverhalte nicht mehr erklären können.«
Eine große Herausforderung sei 80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers, in dem die Deutschen rund 1,3 Millionen Menschen ermordeten, die Restaurierung und Konservierung des rund 200 Hektar großen Geländes, der mehr als 100 Gebäude und Hunderttausender Gegenstände. »Zum Beispiel müssen wir 110.000 Schuhe konservieren. Und für jeden Schuh braucht es einige Tage - eine belastende Arbeit.«
Problem Konservierung
Es sei eine »Schlacht gegen die Zeit, weil diese Objekte zerfallen, allein weil sie Sauerstoff ausgesetzt sind. Eine Zahnbürste zum Beispiel ist nicht für die Ewigkeit gemacht.« Man stehe diesbezüglich vor Problemen, für die man noch keine Lösung habe - auch in finanzieller Hinsicht.
Trotzdem sei die Konservierung von immenser Bedeutung. »Wir brauchen für die Erinnerung die Erfahrung von etwas Authentischem. Man kann in der Schule viel lernen über den Holocaust, es gibt Bücher und Filme und auf der ganzen Welt Museen. Aber wir leihen Objekte wie einen Schuh oder einen Koffer an Museen aus. Das ist viel eindrucksvoller als eine Karte oder ein Bildschirm.«