Der Ort für die von Ex-Premier David Cameron geplante nationale Holocaust-Gedenkstätte mit Bildungszentrum steht seit September endlich fest. Keiner der einst vorgeschlagenen Plätze, etwa neben der Tower Bridge oder der Tate Gallery, schaffte es gegen einen derart symbolischen Ort wie diesen: Ähnlich wie in Berlin soll das Mahnmal in unmittelbarer Nähe zum britischen Parlamentsgebäude an die Opfer der Schoa erinnern und Umstände und Geschichte des Holocausts erklären.
Ebenfalls ähnlich wie in Berlin soll es nach unten gebaut werden: Geplant ist ein zwei Etagen tiefes Zentrum unter den westlich der Houses of Parliaments gelegenen Victoria Tower Gardens. In dem Park, der an der Themse liegt, befinden sich bereits drei andere wichtige Denkmale: das Buxton-Denkmal, das an den Parlamentsbeschluss zur Abschaffung der Sklaverei 1833 erinnert, sowie das Denkmal der Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst (1858–1928) und die Londoner Güsse der Auguste-Rodin-Bronzeplastiken der »Bürger von Calais«.
Einwände Während sich viele Schoa-Überlebende und Flüchtlinge wünschen, der Bau des Zentrums möge schnell vorangehen und noch zu ihren Lebzeiten fertig sein, werden bereits die ersten Einwände gegen das Zentrum laut. Eine Anwohnergruppe fordert, die Gedenkstätte anderswo zu errichten, denn sonst würden sich zu viele Besucher in dem ruhigen Park drängen.
Auch die Architektin Barbara Weiss, die in London die Wiener Library, eine Einrichtung zur Holocaustforschung, neu konstruiert hat, ist um den, wie sie sagt, »sehr besonderen Park« besorgt. Sie hätte zum Thema Gedenkstätte an sich zwar »keine Meinung«, sagte sie der Jüdischen Allgemeinen. Doch sieht sie den Bau dennoch als »unpassende Entwicklung« im Sinne der sogenannten Skyline Campaign, deren Gründungsmitglied und Sprecherin sie außerdem ist. Die Gruppe spricht sich seit Jahren stark gegen Veränderungen der berühmten Londoner Skyline aus. Meist geht es hierbei um Hochbauten, doch diesmal stellt sie sich dem Bau des Schoazentrums in diesem Park in den Weg.
Dabei wäre das Zentrum hier keineswegs die erste Hinzufügung. Am östlichen Rand steht beispielsweise ein modernes Längsgebäude, das erst in den vergangenen Jahren für Parlamentszwecke errichtet wurde. Und am östlichen Ende erstreckt sich ein neuer, großzügig angelegter Kinderspielplatz. Zwar ist der Park trotz der Nähe zum Parlament recht ruhig, doch ist er oft der Ort, an dem sich politische Märsche und Demonstrationen auflösen, und an solchen Tagen entsprechend voll und laut.
Barbara Weiss will dennoch, dass der Park nicht angetastet wird. Sie schlägt als Alternative College Green vor, einen kleineren Grünbereich auf der anderen Straßenseite, von wo aus oft internationale Nachrichtenteams aus London berichten.
fonds Ein Kritiker des Projekts ist auch der Autor und ehemalige Literaturredakteur der jüdischen Wochenzeitung Jewish Chronicle, Clive Sinclair. Er schlug in der Tageszeitung The Times vor, die für die Gedenkstätte zur Verfügung gestellten Fördermittel von rund 50 Millionen Pfund für syrische Flüchtlingskinder zu verwenden. »Die Welt«, so Sinclair, »hat bereits genug Holocaust-Gedenkstätten. Ich verstehe nicht, welchem Zweck diese Gedenkstätte dienen soll.« Mit einem Fonds für Flüchtlinge, so glaubt er, könnten stattdessen aus der Erinnerung an die Gräueltaten menschliche Hilfe und Fürsorge erwachsen.
Ben Barkow, der Direktor der Wiener Library, die an der Gestaltung des neuen Zentrums beteiligt ist, bezeichnete Sinclairs Intervention als humanitär und gutgesinnt. »Ich stimme Sinclair zu, dass Geld für die Flüchtlinge von heute zur Verfügung gestellt werden sollte.« Barkow erklärt jedoch weiter, dass es wichtig sei, den Holocaust als Katastrophe der europäischen Zivilisation allgemein zu verstehen, zu der nun eben auch Großbritannien gehöre – Brexit hin oder her. »Während es in London ein großes nationales Denkmal für die Tieropfer von Kriegen gibt, ist es eine Schande, dass Gleiches zur Erinnerung an Menschenopfer nicht besteht.«
ERziehung Berkow gibt zu bedenken: Obwohl die Geschichte des Holocausts in Großbritannien Pflichtfach sei, bestätigten wissenschaftliche Untersuchungen, dass die Kenntnisse britischer Schüler über diese Zeit oft vollkommen mangelhaft sind. Es sei essenziell, dass diese Geschichte besser verstanden werde, damit britische Bürger gegenüber ihrer Regierung kritischer seien. »Gerade gute Holocaust-Erziehung und Erinnerung würden ja dann den öffentlichen Druck zugunsten der Flüchtlingshilfe erhöhen«, glaubt er.
Die Regierung selbst fährt mit der Umgestaltung ihres Vorhabens derweil fort. Nachdem ein Architektenwettbewerb ausgelobt wurde, soll nun bald ein Komitee, dem auch der britische Oberrabbiner Ephraim Mirvis und Londons Bürgermeister Sadiq Khan angehören, unter den Entwürfen zehn Favoriten auswählen.
An dem Wettbewerb hat sich eine Reihe bekannter Architekten beteiligt wie Norman Foster, Anish Kapoor, Michal Rovner oder Martha Schwartz. Die Entwürfe sollen im Januar in einer Wanderausstellung verschiedenen Zielgruppen vorgestellt werden und auch im Internet verfügbar sein. Die breite Öffentlichkeit soll ihre Meinung über die Vorschläge äußern, bevor die Entscheidung über den besten Entwurf fällt.
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