»Man ist erst tot, wenn man vergessen ist. Isak hat mein Leben gerettet, als ich vier Jahre alt war. Er hat auch das Leben meiner Kinder und Enkelkinder gerettet. Wir werden ihn nie vergessen.« Tova Cohen-Rotlevys Worte rühren zu Tränen. Die etwa 90 Zuschauer der nördlichsten Stolpersteinverlegung der Welt lauschen andächtig und sichtlich bewegt der Rede einer 85-jährigen Frau, die ihr Leben einem Mann verdankt, den sie nie kennenlernen durfte: ihrem Großvater Isak Meyer Goldmann.
Ein strahlender Sommertag in Hammerfest. Die Sonne scheint über der norwegischen Industriestadt. Hier oben, weit im Norden Europas, bleibt es im Sommer immer hell. Die Sonnenstrahlen tanzen auf der Barentssee, und eine leichte Brise von Osten zischt durch das Mikrofon in die Lautsprecher, die vor einem Friseursalon aufgebaut sind.
jahrestag Es ist ein historischer Moment für die arktische Kleinstadt: Der erste und einzige Stolperstein wird verlegt. Einige Wochen zuvor hat man den 74. Jahrestag des Kriegsendes gefeiert, mit Sahnetorte und einer Gedenkfeier für die Gefallenen. Heute aber soll keines Soldaten gedacht werden, sondern eines Zivilisten, der fast in Vergessenheit geraten ist: Isak Meyer Goldmann.
Er wurde 1883 im polnischen Szczuczyn geboren, zog mit 17 Jahren nach Norwegen, zunächst nach Trondheim und später ins nordnorwegische Hammerfest. Dort, auf 70 Grad nördlicher Breite, eröffnete er ein Geschäft für Herrenmode und wurde schnell als »Kleiderjude von Hammerfest« bekannt Er war der einzige Jude in der Stadt und sehr beliebt. Er sei ein großzügiger Mensch gewesen, erzählt man. Konnte sich einer seiner Kunden nur mit Mühe einen Anzug leisten, legte er dem Kauf Hosenträger oder eine Krawatte bei, als Geschenk des Hauses.
Auch wenn die meisten keine Ressentiments gegen Juden hatten, musste man sich im von Deutschland besetzten Norwegen als Jude registrieren.
Privat blieb Isak Meyer Goldmann lieber für sich. Die wenigsten in Hammerfest wussten etwas Privates über ihn, und vermutlich war gänzlich unbekannt, dass Goldmann in Polen eine Familie hatte: eine Tochter namens Michla. Sie schrieben einander häufig Briefe, und so oft er konnte, schickte Goldmann Geld.
zweiter weltkrieg Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs änderte sich Goldmanns Alltag. Auch wenn die meisten keine Ressentiments gegen Juden hatten, musste man sich im von Deutschland besetzten Norwegen fortan als Jude registrieren. Der Nationalsozialismus hatte die Arktis erreicht.
Goldmann verstand schnell, dass nicht nur er sich in akuter Gefahr befand. In einem emotionalen Brief flehte er seine Tochter an, mit ihrer Familie nach Norwegen zu kommen: »In Polen ist es nicht mehr sicher, etwas Furchtbares wird passieren.« Doch Michla hatte andere Pläne: Sie, ihr Mann und ihre vierjährige Tochter Tova wollten nach Palästina auswandern, um dort ein neues Leben zu beginnen. In aller Eile schickte Goldmann seine ganzen Ersparnisse und Fahrkarten für Palästina nach Polen.
Michla und ihr Mann nahmen die eindringliche Warnung ernst und reisten sofort ab. Nur wenige Tage später besetzte Deutschland Polen. Goldmanns gesamte Familie wurde ermordet – nur Michla, ihr Mann und ihre Tochter Tova überlebten und erreichten Palästina unversehrt.
zeitzeugenberichte Goldmann selbst war Zeitzeugenberichten zufolge eines Tages »einfach weg«. Es gibt Gerüchte, dass er noch versucht habe, nach Schweden zu fliehen. Ob er an der Grenze oder vielleicht doch zu Hause in Hammerfest verhaftet wurde, ist ungewiss – ebenso, ob deutsche Soldaten ihn verhafteten oder die norwegische Polizei.
Bekannt ist jedoch, dass er am 26. November 1942 mit dem Schiff »Donau« nach Deutschland verschleppt und nach Auschwitz deportiert wurde. Dort gehörte er mit seinen 59 Jahren zu denen, die sofort in den Gaskammern ermordet wurden.
Dank seines geistesgegenwärtigen Handelns hat Isak Meyer Goldmann die Leben seiner Tochter, seines Schwiegersohns und seiner Enkeltochter gerettet. Tova, die bildende Künstlerin wurde, hat ihrem Großvater die Granitskulptur »Drop of Sorrow« gewidmet. Sie nimmt schon seit 2013 einen prominenten Platz im Rathaus von Hammerfest ein und ist nun eines von zwei Mahnmalen für den »Kleiderjuden« von Hammerfest.