Russland

Fünf Minuten mit…

Salomon Ginsburg über die Duma-Wahlen und jüdische Politiker

von Susanne Spahn  05.12.2011 17:12 Uhr

»Ich habe ich mich entschieden, nicht mehr zu kandidieren«: Salomon Ginsburg Foto: duma39.ru

Salomon Ginsburg über die Duma-Wahlen und jüdische Politiker

von Susanne Spahn  05.12.2011 17:12 Uhr

Herr Ginsburg, wie haben Sie am Sonntag die Wahlen zur Duma, dem russischen Parlament, erlebt?
Ich will zu Ihnen äußerst offen sein. Am 24. November habe ich mich mit Rabbi David Schwedik und der Kaliningrader jüdischen Gemeinde getroffen, und wir haben beschlossen, gegen alle Parteien zu stimmen. Der Gemeinde gehören zu 80 Prozent junge Leute an, aber auch Unternehmer und Rentner. Das sind nicht nur ethnische Juden, auch ihre Frauen und Angehörigen, die sich politisch als Juden sehen. Bei der Wahl haben wir große Geschlossenheit gezeigt. Die Wahlbeteiligung in der Gemeinde lag bei 80 Prozent. Wir wollten die Protestabstimmung, weil wir die Regierungspartei »Einiges Russland« nicht unterstützen können. Das ist die lebendigste antidemokratische Partei im Land. Die Liberaldemokraten der LDPR schüren den nationalen Hass in Russland. Am nächsten wäre noch die Partei »Gerechtes Russland« gewesen.

Hatten Sie nicht Angst, dass Ihre Wahlzettel der Partei »Einiges Russland« zugeschrieben werden könnten?
Nein, wir haben die Wahlzettel qualifiziert »verdorben«. Wir haben alle Parteien durchgestrichen und darauf geschrieben, wen wir gern in der Duma sehen würden: den ehemaligen Vorsitzenden der Partei »Rechte Sache«, Michail Prochorow, und mich.

Haben jüdische Politiker im Kaliningrader Gebiet für die Duma kandidiert?
Ich war auf der Liste von »Rechte Sache«. Mit Prochorow hätten wir sicher 20 bis 25 Prozent in Kaliningrad geholt. Aber dann wurde er im September vom Kreml entmachtet. Deshalb habe ich mich entschieden, nicht mehr zu kandidieren.

Wie bewerten Sie die Wahlergebnisse?
Die Wahl zeigt eine aggressive Haltung der Macht zu den Menschen. Die Kaliningrader haben die Wahl verloren, ihre Parteien sind in der Duma kaum vertreten. Die Regierungspartei hat auch verloren, sie hat im Gebiet 19 Prozentpunkte weniger erhalten als vor vier Jahren, 37 Prozent. In der Stadt Kaliningrad waren es nur 25 Prozent.

Was sagen Sie zu den Fälschungen?
Von den 37 Prozent Stimmen waren mindestens zehn gefälscht. Deshalb wäre das reale Ergebnis für das Gebiet Kaliningrad 27 Prozent gewesen. Die zehn Prozent sind dem Druck der Administration auf die Wähler und der Manipulation zuzuschreiben.

Sind im Gebiet Kaliningrad viele jüdische Politiker aktiv?
Eher nicht. In der Gebietsduma gibt es einen, mich. In der Stadtversammlung gibt es keinen. Die territoriale Zugehörigkeit ist wichtiger als die ethnische. Ein jüdischer Nachname kann Nachteile haben. Aber in Kaliningrad ist der Antisemitismus weniger ausgeprägt als in Moskau und St. Petersburg, ganz zu schweigen vom Fernen Osten. Die Nähe zu Europa wirkt sich aus.

Warum engagieren sich so wenige Juden in der Politik?
Bei den Juden ist es nicht üblich, in die Politik zu gehen. Sie engagieren sich lieber im gesellschaftlichen Leben, in der Wirtschaft und Wissenschaft. Als Jude ist es schwer in der Politik. In der Sowjetunion war der Antisemitismus staatlich verordnet.

Aber Sie sagten doch, dass es gerade im Gebiet Kaliningrad besser ist.
Es wollen nicht so viele Juden an die Macht. Ich habe auch nicht danach gestrebt. Im Jahr 1990 hat mich das Arbeitskollektiv in meinem wissenschaftlichen Institut aufgestellt. Ich wollte die Leute nicht enttäuschen. Jetzt bin ich 52 Jahre alt und führe die Sache konsequent weiter.

Mit dem Kaliningrader Politiker sprach Susanne Spahn (n-ost).

Interview

»Wir stehen hinter jedem Film, aber nicht hinter jeder Aussage«

Das jüdische Filmfestival »Yesh!« in Zürich begeht diese Woche seine 10. Ausgabe, aber den Organisatoren ist kaum zum Feiern zumute. Ein Gespräch mit Festivaldirektor Michel Rappaport über den 7. Oktober und Filme, die man zeigen soll

von Nicole Dreyfus  05.11.2024

Islamische Republik

Iran richtet Juden (20) hin

Die Hinrichtungswelle geht weiter - am Montag wurde ein Mitglied der jüdischen Gemeinschaft im Iran gehängt

 04.11.2024

Frankreich

Im Stich gelassen

Juden werden bedroht, angegriffen und fühlen sich vom eigenen Präsidenten verraten. Ein Stimmungsbild aus dem Land der Aufklärung, das seine größte Errungenschaft zu vergessen droht

von Sybille Korte  03.11.2024

Iran

»Unterschreib, oder du bist tot!«

Am 4. November 1979 nahmen Studenten in Teheran US-Diplomaten als Geiseln. Barry Rosen war einer von ihnen

von Michael Thaidigsmann  03.11.2024

Europa

Allianz der Israelhasser

Mit antizionistischen Positionen will ein Bündnis aus muslimischen Parteien sowohl konservative als auch progressive Wähler mobilisieren

von Mark Feldon  31.10.2024

Meinung

Die Sozialdemokraten und ihr radikaler Mittelweg

Die SP versteckt sich hinter widersprüchlichen und israelkritischen Resolutionen

von Nicole Dreyfus  29.10.2024

USA

Modisch und menschlich

Seit 25 Jahren betreibt Allison Buchsbaum eine Galerie für zeitgenössischen Schmuck in Santa Fe

von Alicia Rust  22.10.2024

Großbritannien

»Zionistisch und stolz«

Phil Rosenberg, der neue Chef des Board of Deputies of Jews, über den Kampf gegen Judenhass

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  20.10.2024

Johannesburg

Terroristin auf dem Straßenschild?

Eine Hauptverkehrsstraße soll nach der Flugzeugentführerin Leila Chaled benannt werden

von Michael Thaidigsmann  16.10.2024