Europäische Juden errichteten einst im nordostbrasilianischen Recife in der »Rua dos Judeus«, die heute kurioserweise »Rua do Bom Jesus« heißt, die erste Synagoge Amerikas. Und Juden aus Recife gehörten zu den Gründern von New York City. Das ist in Deutschland nicht jedermann geläufig – ebenso wenig, dass Brasilien noch 1949 Einreisevisa für Juden per Geheimdekret mit dem Argument verweigerte, es handele sich um psychisch gestörte KZ-Überlebende, an denen man nicht interessiert sei.
»Unter Diktator Getulio Vargas wurde die Jüdin Olga Benario an Nazideutschland ausgeliefert und vergast – Brasilien nahm nach dem Krieg große Nazis und Kriegsverbrecher auf«, erinnert Sergio Simon, der in São Paulo bis 2015 ein jüdisches Museum errichten möchte. »Da werden heikle Dinge zur Sprache kommen«, sagt er.
Restaurierung Der renommierte Krebsexperte am Hospital Israelita »Albert Einstein« in São Paulo koordiniert in seiner Freizeit, abends und an den Wochenenden, die Erweiterungs- und Restaurierungsarbeiten an einer nicht mehr benötigten Synagoge von 1929. Zwecks Mittelbeschaffung reiste Simon zur Bundesregierung nach Berlin und vertiefte die Kontakte zum dortigen Jüdischen Museum. Irmgard Maria Fellner, im Auswärtigen Amt zuständig für multilaterale Kulturbeziehungen, informierte sich bereits vor Ort über das Projekt.
In den 20er-Jahren war São Paulos Zentrum noch hinreißend schick, eine europäisch geprägte, wunderschöne Gartenstadt: Im Fluss unterhalb der Synagoge badeten die Kinder in klarstem Wasser – oben schlossen alle großen jüdischen Familien ihre Ehen. Jahrzehnte später wird São Paulo in eine Betonwüste verwandelt – von Gärten, gar einem Fluss heute keine Spur, stattdessen unter der zwischen Betonblocks eingeklemmten Synagoge eine der hässlichsten Asphalt-Avenidas von São Paulo.
Glasfront Die jüdische Gemeinde hat es nicht verhindern können, zog sich in andere Viertel zurück, betreibt dort mehr als 52 Synagogen, verschafft dem heruntergekommenen Zentrum indessen mit dem neuen Museum eine internationale Attraktion. Denn hinter einer modernen Glasfront, die von der Avenida 9 de Julho bis hinauf zur alten Synagoge reicht, sei auf fünf Stockwerken künftig genügend Platz, um Sammlungen jüdischer Museen aus New York oder Berlin zu zeigen, erläutert Gilberto Lerner, der leitende Ingenieur. »Meine Eltern sind in den 20er-Jahren aus dem heutigen Moldawien gekommen, haben hier geheiratet«, sagt er und klopft auf die alten dunkelbraunen, mit Plastikplanen bedeckten Synagogenbänke von damals.
Ein ganzes Stockwerk soll die Geschichte der brasilianischen Juden zeigen. »Einer der Ersten, Gaspar da Gama, guter Freund des portugiesischen Königs, kam als Navigator und Übersetzer mit der Flotte von Pedro Alvares Cabral, Entdecker des heutigen Brasilien«, so Museumsleiter Simon. »Gama konnte die meisten der um 1500 bekannten Sprachen, stieg daher gleich ins erste Ruderboot, um sich mit den am Strand versammelten Indianern zu verständigen.«
Einwanderung Später trafen Juden in mehreren Einwandererwellen ein: im 19. Jahrhundert aus Marokko, die sich am Amazonas ansiedelten, dann infolge der Pogrome Juden aus Russland und Litauen, die 1929 jene Synagoge errichteten. Später kamen viele Juden aus Syrien, Ägypten und dem Libanon.
Ausführlich soll sich das neue Museum dem Holocaust und den deutsch-brasilianischen Beziehungen widmen. Simon kann aus eigener Erfahrung viel beitragen. »Meine Familie kommt aus Berlin«, sagt er. »Dem Bruder meines Vaters gelang es als einem der wenigen Juden, mitten in der Stadt versteckt, die Nazizeit zu überleben, bevor er 1954 nach Brasilien ging.«
Eine Kostbarkeit des künftigen Museu Judaico de São Paulo hat mit Erfurt zu tun. Lore Dublon aus der thüringischen Stadt schrieb ein Tagebuch wie Anne Frank, flüchtete mit den Eltern nach Brüssel und kam mit ihnen im KZ um. »Wir haben das Original«, sagt Simon, »wir werden es als Faksimile mit Kommentaren zu ihrer Biografie veröffentlichen.